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Schicksal einer Familie

Wichern: Rüdiger Bremme Gast der aktuellen Runde

Bad Oeynhausen (sto). Einer der Zeitzeugen, die aus eigenem Erleben von der Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung ihrer deutschen Mitbürger jüdischen Glaubens berichten können, ist Pfarrer i. R. Rüdiger Bremme. Im Rahmen der Reihe »aktuelle Runde« der Wichern-Gemeinde berichtete er über das Schicksal der jüdischen Familie Berlinger während der Zeit des Nationalsozialismus.

Der Referent stellte auf bewegende Weise den Prozess der Ausgrenzung dar, den die jüdischen Mitbürger im Laufe der dreißiger und vierziger Jahre erleiden mussten: »Die Mitglieder der Familie Berlinger fühlten sich als Deutsche wie andere Deutsche auch«, so Bremme. Dafür spreche vor allem die Namenswahl, die Benjamin Berlinger für die beiden Söhne getroffen hatte: Siegfried nannte er den älteren, 1920 geborenen, Manfred den jüngeren, 1925 geborenen Sohn. Dieser war ein Mitschüler von Rüdiger Bremmes älterem Bruder Reinhard.
Ein Zeichen für die Assimilierung des Vaters war ferner, dass er seinen eigenen, aus der biblischen Tradition stammenden Vornamen Benjamin in Benno verkürzte. »Die Berlingers gehörten zum gehobenen Bürgertum der Badestadt«, erklärte Bremme. Der Vater habe in dem angesehenen Modehaus Rüdenberg die Stelle eines Prokuristen innegehabt. Dessen Inhaber Otto Rüdenberg schilderte Bremme als einen tüchtigen Kaufmann und warmherzigen Vorgesetzten.
Dass die Familie Berlinger einer anderen Glaubensgemeinschaft angehörte, habe sich nach außen kaum manifestiert, allenfalls vielleicht in der Tatsache, dass am Sabbat nicht geputzt wurde, dass es manchmal Matzengebäck gab, was die Kinder als schmackhaft in Erinnerung behielten. Die Juden in Bad Oeynhausen gehörten zur Synagogengemeinde in Vlotho.
Man kannte sich unter den Kindern der Nachbarschaft, denn die Familie Berlinger wohnte ebenso wie die Familie Bremme in der Nähe des Tirpitzplatzes, Kindergeburtstage wurden zusammen gefeiert. Rüdiger Bremme berichtete über die zunehmende Ausgrenzung der jüdischen Mitbürger.
Viele Zeitgenossen hätten irgendwie, meist durch Erzählungen von Soldaten, die an der Ostfront stationiert waren und auf Heimaturlaub kamen, Kenntnis darüber bekommen, dass die jüdischen Mitbürger in den Osten deportiert würden. Auch die Familie Berlinger sei 1942 nach Riga deportiert worden. Alle ihre Mitglieder seien Opfer der von den Nationalsozialisten betriebenen Vernichtungsmaschinerie geworden.

Artikel vom 24.11.2006