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Mehrheit jenseits von »45«

FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher Gast des RGH


Herford (pjs). Im sonnigen Floria verteilt die Polizei inzwischen fast 80 Prozent der Strafmandate nicht mehr an Raser, sondern an Senioren, die im Schneckentempo auf dem Highway unterwegs sind - mit dieser »Randnotiz« sorgte FAZ-Mitherausgeber Dr. Frank Schirrmacher für Heiterkeit, aber auch für nachdenkliche Betroffenheit bei seinen Zuhörern im Herforder Stadttheater. Dabei führt Florida mit seinem extrem hohen Altersdurchschnitt nur vor Augen, was Deutschland bald bevorsteht, verdeutlichte der Journalist und Literaturwissenschaftler. Auf Einladung des Ravensberger Gymnasiums sprach er gestern vor Oberstufenschülern, Lehrern, Eltern sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern zum Thema »Das Methusalem-Komplott - die demografische Entwicklung der Gesellschaft und deren Auswirkung auf das Bild des Alterns«.
»Erstmals in der Geschichte leben wir in einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung zu den Älteren zählt und jenseits der 45 steht«, erläuterte der in Wiesbaden geborene Bestseller-Autor. Dass immer mehr älteren Menschen immer weniger jüngere gegenüberstünden, werde zu sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen führen, deren Ausmaße noch gar nicht absehbar seien. Schon jetzt aber sei klar: »Hauptbetroffene werden die sein, die nach 1970 geboren sind.«
Überalterung spiegele sich auch in einer Veränderung der Pop- und Filmindustrie wider: Immer mehr Radio-Sender spezialisierten sich auf Musik aus den 60-er bis 80-er Jahren, Hollywood produziere inzwischen einen Retrofilm nach dem anderen - Zeichen dafür, dass Senioren zunehmend als Wirtschaftsfaktor gesehen werden und hier noch viele Chancen warten.
Die Lebenserwartung sei seit den 80-er Jahren explosionsartig gestiegen, gab Schirrmacher zu bedenken: »Ein im Jahr 2000 geborenes Mädchen wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent über 100 Jahre alt.« Im nächsten Jahrzehnt werden in Deutschland vier Mio. junge Menschen fehlen - auf dem Arbeitsmarkt, aber auch als Rentenbeitragszahler. »Wir müssen die Älteren wieder zurückholen in die Gesellschaft - anders wird es nicht gehen«, warb der Experte dafür, diese Gruppe entgegen bisheriger Praxis länger ins Arbeitsleben zu integrieren.

Artikel vom 24.11.2006