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»Ein wachsames Auge haben«

Heimische Schulen setzen auf Prävention - Kontakt mit den Schülern wichtig

Lübbecke/Pr. Oldendorf/Hüllhorst/Rahden (HoG/kan/juk/be). Der Amoklauf eines 18-Jährigen in einer Realschule in Emsdetten am Montag sorgt für Entsetzen. Nicht mehr irgendwo »weit weg« oder in einer Großstadt, sondern in einer kleinen Stadt im Münsterland stürmt ein schwer Bewaffneter seine ehemalige Schule und will »Rache nehmen«. Ein Einzelfall? Die LÜBBECKER KREISZEITUNG hat Leiter der weiterführenden Schulen nach ihrer Einschätzung gefragt.

Marina Butschkat-Nienaber, stellvertretende Leiterin der Gesamtschule Hüllhorst, glaubt nicht, dass sich Schulen vor Amokläufern schützen können: »Zäune und Kontrollen am Eingang sind keine Lösung.« Die Gesamtschule habe seit zwei Jahren eine Videoüberwachungsanlage, mit der Zerstörungen wirksam gemindert worden seien. Gewaltprävention sei ein fester Bestandteil der Projektwoche - eine Veranstaltung, die gemeinsam mit der Polizei durchgeführt werde. »Außerdem gibt es bei uns eine große Streitschlichter-AG und natürlich Beratungs- und Verbindungslehrer als Ansprechpartner für Schüler, die sich missverstanden fühlen«, sagt die Lehrerin.
Auf Prävention setzt Birgit Pleuter, Konrektorin der Hauptschule Pr. Oldendorf. Gut bewährt hätten sich die Anti-Mobbing-Kurse. Als hervorragend bezeichnete sie auch die Zusammenarbeit mit der Diakonie, dem Jugendamt und der Polizei. Bei Problemen bestehe auch die Möglichkeit, auf den Schulsozialarbeiter zurückzugreifen. Für überaus wichtig hält sie jedoch den Kontakt zu den Eltern, was bei der überschaubaren Größe der Hauptschule mit rund 350 Schülern kein Problem darstelle. Die Elternhäuser seien durchweg bekannt. »Das Gefühl untereinander muss einfach stimmen«, erklärt die Konrektorin.
Die Thematik der Gewalt ist an der Realschule Pr. Oldendorf ständiges Unterichtsthema. So wurde vor ein paar Wochen die Lektüre »Ich knall Dich ab« behandelt und auch eine Klassenarbeit darüber geschrieben, berichtet Realschulrektor Norbert Frankenberg. Natürlich habe der Vorfall in Emsdetten sowohl Schüler als auch Lehrer betroffen gemacht und er sei persönlich von einigen Schülern darauf angesprochen worden. Auch die Zeitungsberichte seien im Unterricht behandelt worden. Als erfolgreich bezeichnet Frankenberg die Arbeit der Streitschlichter an der Realschule.
»Ich hatte an diesem Tag abends zufällig ein Kurstreffen der Jahrgangsstufe 11, da haben die Schüler das Thema natürlich angesprochen«, berichtet Friedhelm Sauerländer, Leiter des Lübbecker Wittekind-Gymnasiums. Auch gestern in den Klassen und im Rahmen der Lehrerkonferenz sei der Vorfall Thema gewesen. Wie NRW-Schulministerin Barbara Sommer geht auch Sauerländer von einem Einzelfall aus. Seine Sorge ist aber, dass diese Tat Nachahmer reizen könnte. Eine Videoüberwachung gebe es nur im Bereich der Fahrradständer. »Wenn so einer kommt, ist die Schule ohnehin offen. Natürlich kann man große Zäune ziehen, aber letztlich schützt auch das nicht.« Wie andernorts ist auch das Wittekind-Gymnasium in Sachen Prävention aktiv, zum Beispiel mit den ehrenamtlichen Streitschlichtern oder der Initiative »Antimobb - Eltern und Lehrer gegen Gewalt und Mobbing«.
Mit den Schülern ins Gespräch kommen - auch außerhalb des Unterrichts, darauf legt Marion Bienen, Leiterin der Lübbecker Jahn-Realschule großen Wert. »Da ist es bei uns von Vorteil, dass wir seit vielen Jahren Ganztagsschule sind«, erklärt Bienen. Und auch sonst gelte es, ein wachsames Auge zu haben, Anzeichen wahrzunehmen und gegebenenfalls die Eltern einzuschalten; Präventionsprogramme und ein enger Kontakt zur Polizei - speziell wenn es um Auffälligkeiten bei Schülern gehe - sorgten für ein gutes Netzwerk. »Aber dennoch kann man nie sagen, an unserer Schule gibt es das nicht.« Als Ansprechpartner stehen den Schülern die Beratungs- und SV-Lehrer zur Verfügung, auch die Stelle des Schulsozialarbeiters soll neu besetzt werden. Die Wirkung eines Verbotes von Gewaltvideos zieht die Schulleiterin in Frage: »Das ist wie mit dem Alkohol: Wer etwas haben will, wird es sich beschaffen.« Ihr Appell geht an die Eltern.
Mit 360 Schülern zähle die Lübbecker Hauptschule zu den kleineren Schulen, »das hat den Vorteil, dass wir unsere Schüler viel besser kennen als in einem großen System«, sagt Konrektor Wolfgang Mehrhoff, »aber ausschließen kann man so etwas nie.« Gerade deshalb setze man auf soziales Training, Prävention und Beratung, zwei Lehrer seien dafür freigestellt, außerdem gebe es eine Schulsozialarbeiterin: »Wir machen wirklich alles Menschenmögliche, um den Druck herauszunehmen.« Eine Videoüberwachung halte man nicht für notwendig, Schäden hielten sich im Rahmen. Andere Sicherungsmöglichkeiten sieht Mehrhoff nicht: »Wir sind eine offene Schule. Die Eltern können zu jeder Tageszeit kommen. Da können wir nich einfach die Türen zuschließen.« Um den unter Jugendlichen beliebten Tausch von Gewaltsequenzen über Mobiltelefone zu unterbinden, gebe es an der Schule seit einigen Monaten ein Handyverbot.
Konrektor Friedhelm Meier (55) von der Freiherr-vom-Stein Realschule Rahden kann sich nicht vorstellen, »dass das mit einem unserer Ehemaligen passieren kann. Mit acht Ehemaligentreffen pro Jahr haben wir ein hervorragendes Verhältnis zu den Ex-Schülern. Natürlich gibt es immer wieder Menschen, die eine schlechte Erinnerung an ihre Schulzeit haben. Wird bei uns jemand als Einzelgänger auffällig, gibt es sofort ein Gespräch mit den Eltern und den Mitschülern. Natürlich wird durch Gewaltspiele auch die Hemmschwelle herabgesetzt.«
Rektor Jürgen Ehlers (56) von der Realschule Stemwede glaubt, dass dieses schreckliche Ereignis »noch häufiger auf uns zukommen wird«. Ein Grund dafür sei, »dass Schule noch nicht richtig aufgestellt ist. Bei uns steht immer noch die individuelle Leistung der Schüler im Vordergrund. Gleichzeitig stehen Ordnung und Disziplin hoch im Kurs. Dagegen sind Themen wie Liebe und Vertrauen nur ganz selten auf dem Stundenplan zu finden. Bei uns kümmert sich eine Beratungslehrerin um die Einzelgänger. Ich fürchte nur, dass man nicht an jeden Schüler herankommen wird.«

Artikel vom 22.11.2006