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Goethes Faust ist zeitlos

Stück entführt im Neuen Theater in »kleine Welt der Menschen«

Espelkamp (WB). Mit einer leicht fassbaren und auf das Wesentliche reduzierten Version von Goethes Klassiker »Faust« ist das Theater Osnabrück mit »Der Tragödie erster Teil« am Samstag, 25. November, im Neuen Theater Espelkamp zu Gast. Beginn ist um 20 Uhr.



In seiner Studierstube grübelt Faust über den wahren Sinn des Lebens. Philosophie, Medizin, Juristerei und auch Theologie geben ihm keine befriedigenden Antworten mehr auf seine Fragen. Die letzte Hoffnung sieht er in der Magie. Faust beschwört den Erdgeist, doch der erscheint nur, um ihm seine Zwergenhaftigkeit im großen Universum aufzuzeigen. Faust entscheidet, lieber den Freitod zu wählen, als sein friedloses Erdendasein weiter zu fristen.
Durch die Osterglocken wird er jedoch davon abgehalten und in die Natur gerufen. Während eines Spazierganges trifft er auf einen seltsamen schwarzen Pudel, der sich als Mephisto entpuppt. Indem er die Unzufriedenheit Fausts ausnutzt, verleitet er diesen zu einem verhängnisvollen Pakt. Denn erst nachdem Faust sich dem Teufel mit seinem Blut verschrieben hat, schenkt dieser ihm alle vermeintlichen Genüsse dieser Welt.
Holger Schultzes Inszenierung betont die Zeitlosigkeit der Figuren: Faust könnte man glatt als Uni-Dozent in der Mensa begegnen. Mephistopheles gleicht einem der TV-Comedy entflohenen Star, im Prolog der Erzengel preisen diese mit ihrem Aktenkoffer das unbegreifliche Schöpfungswerk des vergötterten Kapitals, Auerbachs Keller verweist auf vom Suff gezeichnete und sich um die Welt nicht kümmernde Studierende. Und der Wirbel entfesselter Sinnlichkeit in der Walpurgisnacht erinnert an die glänzende Choreografie eines Bob Fosse. Schultzes Interpretation des deutschen Nationaldramas zeichnet sich insbesondere durch den Verzicht auf Aktualisierung und auf ideologischen Rezeptionsbalast, sowie einem ironischen Umgang mit den mythischen und jenseitigen Bezügen, Achtung vor dem Wort und einer Verschlankung aus.
Das mag den Goethe-Liebhaber und eingeborenen Klassik-Fan betrüben, es hat aber zu einer voll akzeptierten Faust-Inszenierung geführt, die vor dem Stück die Barriere der Bildungserfurcht einreißen lässt, das Interesse und die Aufmerksamkeit aufrecht hält und die in Momenten der Gretchen-Tragödie sogar Anteilnahme erweckt.

Artikel vom 22.11.2006