21.11.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Weicher Kern in kauzigen Typen

Eindrucksvolle Kammerspiele-Inszenierung: »Indien« von Hader/Dorfer

Von Andrea Pistorius
Paderborn (WV). Was wie ein Bauernschwank beginnt, endet in einer menschlichen Tragödie. Josef Hader und Alfred Dorfer sorgen mit ihrem Stück »Indien« dafür, dass den Zuschauern schon bald das Lachen im Halse stecken bleibt. Die Westfälischen Kammerspiele folgen der Dramaturgie mit Schockeffekt präzise.

Die Geschichte dreht sich um zwei Männer, die als Gasthaus-Kontrolleure durch die Lande reisen und in ihrem Wesen kaum unterschiedlicher sein können. Die Atmosphäre knistert explosiv, während Sticheleien wie Pingpongbälle hin und her fliegen: Die vom Arbeitgeber verfügte Zwangs-Partnerschaft ist für beide kaum erträglich.
Thomas Heller spielt den Part des gemütlichen Grantlers Heinzi Bösel, der sich brummelnd durch Schnitzelberge futtert und fettige Biergläser mit derben Kommentaren benotet. Sein Kollege Kurtl Fellner (Frerk Brockmeyer) ist der elegante Schnösel, der pedantisch Duschköpfe und Linoleumböden inspiziert, und sich mit pseudointellektuellem Gefasel über Bösels Kleinbürgerlichkeit erhebt.
Die beiden Darsteller der Kammerspiele füllen ihre kauzigen Charaktere von Anfang an mit prallem Leben, jeder Ton, jeder Blick, jede Bewegung passt. Nur langsam nähern sich in der Inszenierung von Friederike Barthel die beiden Männer einander an, lassen Blicke hinter ihre Fassaden zu. Heller und Brockmeyer nehmen sich dafür Zeit: Auch wenn sie sich lange anschweigen, spricht die Situation Bände. Erst als beide ganz unten angekommen sind, als sie betrunken den Wirt schikanieren und später auf dem Gasthausklo über gescheiterte Lebenspläne und Liebesgeschichten philosophieren, da öffnen sich ohne Gesichtsverlust Wege zum anderen.
Wirklich Mensch werden die beiden Helden im zweiten Akt. Da liegt der Schnösel Fellner mit Krebs im Krankenhaus, und der einzige, der ihn besucht, ist ausgerechnet Bösel. Eindrucksvoll wandelt Brockmeyer im Verlauf der Szenen kühle Arroganz in gelassene Schicksalsergebenheit und Heller lässt seinen Bösel zwischen unbeholfenem Trost und kameradschaftlichem Verständnis pendeln. Mehr oder weniger als Statist schreitet Johann Schiefer durch die Bilder, er ist nacheinander Wirt, Arzt und Priester.
Wirkungsvoll kann sich das Stück in der Ausstattung von Stephan Rinke entfalten. Sein mobiles Wirtshaus ist spießig, sein Krankenhauszimmer steril. Das Publikum sitzt an Tischen und wird als fiktive Gästeschar in einem Kneipensaal ins Stück einbezogen. Muntere Blasmusik in den Umbaupausen verkürzt das Warten und weist darauf hin: Nach Indien geht es nicht! Heinzi und Kurtl kommen nur in ihren Träumen über Österreich hinaus.

Artikel vom 21.11.2006