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Ein Blick in
tiefe Abgründe

Abgründe in »Pingpong«


Dass hinter der Fassade des Bürgertums Abgründe lauern, ist nichts Neues. Doch der junge Regisseur Matthias Luthart lotet diese Abgründe in seinem Drama »Pingpong« über einen verzweifelten Jugendlichen auf leise und ungemein intensive Art aus. Kein Wunder, dass der starke Erstling aus Deutschland als bestes Debüt für einen »Europäischen Filmpreis« nominiert ist.
»Pingpong« ist ein Kammerspiel mit vier Personen, dessen Handlung sich langsam, aber dramatisch entfaltet. Schauplatz ist der sommerliche Bungalow einer wohlhabenden, musischen Kleinfamilie mit Hund und Pool. Überraschend taucht hier der 16-jährige Neffe Paul (Sebastian Urzendowsky) auf. Was er will, weiß er selbst nicht genau. Sein Vater hat sich umgebracht, er hat Fragen und braucht Zuwendung. Aber er bekommt weder Antworten noch Liebe. Um im »Pingpong«-Bild zu bleiben: Zunächst spielen alle Mitwirkenden den Ball manierlich hin und her, bis das Geplänkel in heftigen Schmetterschlägen entartet.
Paul ist nicht wirklich willkommen, richtet sich aber trotzig bei der Verwandtschaft ein. Cousin Robert übt für die Aufnahmeprüfung zum Klavierstudium und ersäuft seinen Frust in Alkohol. Seine Tante (Marion Mitterhammer) kümmert sich vor allem zärtlich um ihren Hund Schumann. Und der Onkel verschwindet auf eine Dienstreise. Mehr aus purer Bedürftigkeit denn aus Liebe lässt die Tante eine kurze Affäre zwischen ihr und Paul zu. Für sie scheint das kaum passiert zu sein, doch für Paul und Robert hat die amouröse Episode einschneidende Folgen.
Unbestechlich und radikal
»Ich mag Geschichten, die sich auf wenige Figuren konzentrieren und aus den Charakteren heraus entwickeln«, beschreibt Luthardt seinen Stil. Konsequenz folgt er Gefühlen und Eskalationen, ohne künstlich zu dramatisieren und von seinem realistischen Konzept abzuweichen. Unbestechlich und radikal sucht er hinter der gutbürgerlichen Fassade die Wahrheit, die da heißt: emotionale Leere und Vernachlässigung. Beim Filmfestival in Cannes erhielt »Pingpong« auch den Preis einer jugendlichen Cineasten-Jury.

Artikel vom 16.11.2006