15.11.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ein Leben, mal 
süß, mal sauer

Wolf Biermann ist heute 70 Jahre alt

Von Wilfried Mommert
Hamburg (dpa). Wolf Biermann ist ein Liedermacher gegen die Staatsmacht in der DDR gewesen, aber auch ein »Troubadour der deutschen Zerrissenheit« und ein »poete chanteur«, ein Liederdichter, wie er sich noch immer versteht, oder auch als »proletarischer Orpheus«.

Heute wird der in Hamburg geborene und jetzt lebende Biermann 70 Jahre alt. Dort wird er auch geehrt als »Legende ohne Totenschein«, wie er sich selbst in einem seiner neuen Lieder (»Heimkehr nach Berlin Mitte«) beschreibt. »Süßes Leben - saures Leben« ist der Titel einer seiner zahlreichen Schallplatten. Das könnte auch für seine Biografie gelten. Ihre vielleicht einschneidendsten Fixpunkte waren die für den kleinen Wolf traumatische Bomben-Feuernacht in Hamburg 1943 und seine spektakuläre Ausbürgerung aus der DDR vor 30 Jahren, am 16. November 1976. Was nach seinem Rausschmiss folgte, war die größte kulturpolitische Protestkampagne in der Geschichte des »Arbeiter- und Bauernstaates«, die auf einen bis dahin einmaligen, zuvor nur von den Nationalsozialisten praktizierten Vorgang reagierte: den Rauswurf eines Deutschen aus seinem Land. In diesem Fall eines Deutschen, dessen Vater als kommunistischer Widerstandskämpfer in Auschwitz ermordet wurde. Zum Vorwand für die Ausbürgerung hatte die SED ein Konzert Biermanns am 13. November in Köln - nach zwölfjährigem Berufsverbot.
Ein Sturm der Entrüstung brach selbst unter den prominentesten Künstlern und Schriftstellern in der DDR los - von Christa Wolf über Armin Mueller-Stahl bis Manfred Krug. Es folgten Einschüchterungen, Gefängnis und ein intellektuelles Ausbluten der DDR in Richtung Westen. Der Liedermacher selbst erlebte seine Ausbürgerung damals zunächst »als das Ende von Wolf Biermann«, wie er sich später erinnerte. »Ich dachte, es ist aus mit mir, mit meinem Leben, als Liedermacher und Dichter. Na klar habe ich geflennt.« Die ersten Jahre wieder im Westen waren für Biermann, der 1953 in die DDR übergesiedelt war, nicht immer leicht. Er wurde keineswegs überall mit offenen Armen empfangen. »Ich hatte aber Glück, ich konnte aus meinen Schmerzen Lieder machen«, meinte er später einmal. Es entstanden wieder Lyrik- und Prosabände Biermanns, der schon zuvor mit Büchern und Schallplatten von sich reden machte, die zunächst nur im Westen erschienen.
Biermann gehört zweifelsohne zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und ist mit Preisen überhäuft worden. Gerühmt wurde seine einfühlsame Nachdichtung eines jiddischen Poems von dem polnischen Juden Jizchak Katzenelson »Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk«. Auch als Nachdichter von Shakespeare oder Bob Dylan machte sich Biermann einen Namen.

Artikel vom 15.11.2006