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Angst vor dem
»Sippenkrieg«

Prozess gegen Bekim B. fortgesetzt

Von Wolfgang Clemm
Bielefeld/Herford (HK). Gestern fand am Landgericht Bielefeld der dritte Verhandlungstag gegen den 24-jährigen Jesiden Bekim B. (Name geändert) aus Herford statt. Er ist angeklagt, seine Ehefrau viermal gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben (das HERFORDER KREISBLATT berichtete).

Eigentlich war der Prozess auf zwei Tage terminiert worden, doch auch beim dritten kam es zu keinem Abschluss: Am 29. November geht es weiter, zwei Tage im Dezember wurden auch schon festgelegt. Die Familienoberhäupter beider Familien, die weitläufig miteinander verwandt sein sollen, konnten sich noch nicht auf ein akzeptables Ergebnis einigen.
Zuerst versuchte die Partei des Angeklagten Zeit zu gewinnen, weil ein neuer Verteidiger ins Spiel gebracht werden sollte. Dies wies die Vorsitzende Richterin am Landgericht, Jutta Albert, ab. Sie habe Rechtsanwalt Sascha Haring aus Steinhagen (in der Bürogemeinschaft Pfeifenschneider/Haring absolviert der Angeklagte eine Ausbildung zum Rechtsanwaltsfachgehilfen) als Pflichtverteidiger bestellt, der also herbeigerufen werden musste. Weitere Anträge wurden nach Beratung abgeschmettert.
Im Prinzip wollen alle Beteiligten, auch Oberstaatsanwalt Reinhard Baumgart und Nebenklagevertreter Wilfried Ewers, erreichen, dass die Familien sich einigen, ohne dass Blut fließt. Allein im hiesigen Großraum würden beide Familien problemlos 1000 Leute aufbieten können. Eine einvernehmliche Scheidung, die nach jesidischem Recht eigentlich ausgeschlossen ist, den Verbleib des Brautgeldes von 30 000 Euro bei der Sippe der Frau, ein Geständnis des Angeklagten, das mit einer Bewährungsstrafe von maximal zwei Jahren honoriert würde, wird von allen Juristen im Interesse des Rechtsfriedens angestrebt.
Beim nächsten Termin werden die Zeugen einer Familie gehört, beim nächsten die andere Sippe, beides unter erhöhten Sicherheitsvorschriften. Am dritten Tag sollen Plädoyers und Urteil folgen. Eigentliches Ziel dieser Justizposse ist aber, dass die Clanchefs sich in der Zwischenzeit auf eine Lösung verständigen. Bekim B. trägt beim Scheitern ein gewaltiges Risiko: Die Mindeststrafe pro Vergewaltigung beträgt zwei Jahre, ihm droht also eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Damit hätten sich das geplante Jurastudium ebenso wie sein Türsteherjob erledigt.

Artikel vom 11.11.2006