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Fiktiv und doch erschütternd realistisch

Mendel-Grundmann-Gesellschaft gedenkt mit Lesung den Opfern des Novemberpogroms

Vlotho (bir). Mit einem Briefwechsel, fiktiv und gleichzeitig doch erschütternd realistisch, gedachten die Mitglieder der Mendel-Grundmann-Gesellschaft am Donnerstagabend im Gemeindehaus der evangelisch-reformierten Kirche St. Johannis den Opfern des Novemberpogroms 1938 und erinnerten damit auch an das Schicksal der Vlothoer Juden.

Im Zuge der Veranstaltung wies Helmut Urbschat auch noch einmal auf die Verlegung von weiteren 15 Stolpersteinen am Dienstag, 5. Dezember, hin. Vier Tage später, am Samstag, 9. Dezember, wird es in der Kulturfabrik eine Gedenkfeier zur Einweihung dieser Steine geben.
Die Autorin Kathrine Kressmann-Taylor, deren Werk »Empfänger unbekannt« von den Mitgliedern der Mendel-Grundmann-Gesellschaft vorgetragen wurde, zeichnet in ihrer bereits 1938 veröffentlichten Geschichte die Freundschaft des amerikanischen Juden Max Eisenstein und seines deutschen Freundes Martin Schulze nach. Eine Freundschaft, die in Feindschaft und Abneigung umschlägt, als Martin Schulze in den Sog des Nationalsozialismus gerät.
Nach einem längeren Aufenthalt in den USA kehrt Martin Schulze nach Deutschland zurück - im Jahr 1932. In tiefer Freundschaft verbunden, schreiben er und Max Eisenstein sich regelmäßig Briefe. Doch schnell ändert sich dieses Verhältnis: Steht Max Eisenstein den neuen politischen Entwicklungen und dem Erfolg Adolf Hitlers mit großer Skepsis gegenüber, ist Martin Schulze von ihm begeistert, bezeichnet ihn als einen »Segen« für Deutschland. Die gewalttätigen Übergriffe von SA-Leuten gegenüber Juden werden von ihm als »Randerscheinungen« verharmlost. Seine Begeisterung für die Politik Hitlers steigt immer weiter. Er wendet sich von seinem einstigen Freund ab und beginnt gegen Juden zu hetzen.
Schließlich wird er sogar mitverantwortlich am Tod der Schwester Max Eisensteins. Anstatt der Flüchtenden zu helfen, wimmelt er die verzweifelte Frau ab und liefert sie damit der SA aus.
Kurz darauf beginnt Max Eisenstein mit einem wahren Bombardement an Briefen - alle geschrieben, als würden tiefe Freundschaft und ein Geheimnis den amerikanischen Juden und den Deutschen verbinden. Mit fatalen Folgen für Martin, der nun um sein Leben fürchtet. Doch auch in dieser Lage zeigt er sich uneinsichtig - bis zum Schluss. Seinen letzten Brief an Martin Schulze erhält Max Eisenstein zurück - mit dem Vermerk »Empfänger unbekannt«.
Eindrucksvoll erweckten Helmut Urbschat (Zwischentexte), Manfred Kluge (Max Eisenstein), Ralf Steiner (Martin Schulze) und Inge Wienecke (Vorwort) die Geschichte zum Leben und ließen die Zuhörer diese Freundschaft erleben, die die zerstörende Wirkung des Nationalsozialismus zu spüren bekommt. Beeindruckt zeigten sich auch die Zuhörer, die im Anschluss der Lesung ihre eigenen Eindrücke der Geschichte und teils auch ihre eigenen Erlebnisse mit Rechtsradikalismus schilderten.
Ein Thema, das derzeit aktueller ist denn je - und so ließ es sich Helmut Urbschat nicht nehmen, zum Abschluss auf die »endlich stattfindende« Podiumsdiskussion zum »Collegium Humanum« am Freitagabend hinzuweisen, »die sich mit dem Schandfleck Vlothos befasst«. »Wir wollen nicht wehrlos sein gegenüber diesen ÝBraunenÜ«, betonte der Vorsitzende der Mendel-Grundmann-Gesellschaft nachdrücklich: »Und im übrigen beantrage ich, dass das ÝCollegium HumanumÜ geschlossen wird.«

Artikel vom 11.11.2006