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Kerzen brennen
auf jüdischem
Friedhof Levern

Katechumenen informieren sich

Von Stefanie Hillebrand
Levern (WB). »Hier ist verborgen die teure und gerechte, die tapfere Frau Zippor, die Tochter des Simeon, die Ehefrau des Leviten Abraham (...). Sie kehrte zurück in ihre Erde am 27. Adar (...). Möge ihre Seele eingebunden sein im Bündel der Lebendigen«. So liest es sich auf einem der ältesten Grabsteine des jüdischen Friedhofs Levern.

Der evangelische Gemeindepfarrer Thomas Horst übersetzte seinen 13 Katechumenen die hebräische Inschrift und erklärte ihnen jetzt die typischen Begräbnisformeln. Der Besuch auf dem Friedhof an der L 770 fand aus aktuellem Anlass statt. Am 9., 10. und 11. November vor 68 Jahren brannten in Deutschland die Synagogen, Grabsteine wurden zerstört, jüdische Geschäfte und Wohnhäuser demoliert und geplündert, jüdische Mitmenschen geprügelt, verhöhnt, entrechtet und erniedrigt.
Der Pogrom begann in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 und ging erst am 11. zu Ende. Ein vom Juden Herschel Grünspan verübtes Attentat auf den deutschen Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath in Paris bot dem nationalsozialistischen System den willkommenen Anlass, die deutschen Juden radikal und brutal aus dem öffentlichen- und Wirtschaftsleben auszuschalten. Der als »Kristallnacht« in die Geschichte eingegangene Pogrom markiert den »Anfang vom Ende« der Geschichte des deutschen Judentums.
»Ich hoffe, dass keiner der jungen Menschen, wenn sie sich einmal intensiv und unmittelbar mit dem Judentum beschäftigt haben, auf die Idee kommt, Hakenkreuze zu schmieren«, erklärt Horst. Darum hat der Theologe bereits vor vielen Jahren sämtliche Inschriften entziffert, übersetzt und in einer Broschüre für Konfirmanden zusammengestellt.
Im Katechumenenunterricht hatten sich die Jugendlichen auf den Besuch vorbereitet. So fanden sie sich gut in der jüdischen Zeitrechnung zurecht und konnten die Jahresangaben auf die christliche Chronologie umrechnen. »Bei den Juden beginnt ein neuer Tag mit dem Sonnenuntergang und ein neues Jahr mit dem Erntedankfest«, beschreibt Horst weitere Unterschiede, macht aber gleichzeitig auch auf Gemeinsamkeiten aufmerksam, angefangen damit, dass Christen, Juden und Moslems ihre Wurzeln im Vorderen Orient haben.
Anhand verschiedener Grabsteine erklärte Horst seinen Katechumenen die Sprache der jüdischen Symbole, wie den Schmetterling, der die Verwandlung in einen schönen, freischwebenden Zustand nach dem Tod darstellt. Bei ihrem Rundgang vorbei an den 36 Gräbern erfuhren die Mädchen und Jungen einiges aus den Lebensgeschichten und dem Alltag der Juden in Levern.
Sie selbst waren alle zum ersten Mal auf dem Friedhof, umso mehr beeindruckte es sie, dass scheinbar Besucher gekommen waren, um Kerzen aufzustellen.
»Diese Begräbnisstätte wird uns für immer bleiben und wir sollten uns freuen, hier einen solchen Ort zu haben«, unterstrich Horst. Der jüdische Friedhof Levern ist einer der letzten stummen Zeugen eines einst blühenden jüdischen Lebens in der Gemeinde. Als er im Jahr 1860 angelegt wurde, lebten neun jüdische Familien mit insgesamt etwa 50 Personen im Ort. Sie arbeiteten dort als Färber, Buchbinder, Goldschmied, Viehhändler, Schlachter und Kaufmann und hatten als solche mehr schlecht als recht ihr Auskommen, genau wie ihre christlichen Mitbürger in den damals herrschenden wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
Als kleine jüdische Landgemeinde bildeten sie zwar eine religiöse Minderheit mit eigener Synagoge und Schule, fügten sich aber in die Dorfgemeinschaft ein und waren im Großen und Ganzen geachtet und akzeptiert. Dass sich der normale gesellschaftliche Umgang einmal radikal wandeln würde, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand vermuten.
Der jüdische Friedhof Levern wurde in der Pogromnacht nicht geschändet. Trotzdem denkt jeder an einem solchen Ort den Holocaust mit. »Ich hoffe, dass euch dieser Besuch auf dem jüdischen Friedhof nachdrücklich in Erinnerung bleibt und ihr mit dazu beitragt, dass sich ein solches Unrecht niemals wiederholt«, gab Pfarrer Horst seinen Katechumenen mit auf den Heimweg.
Folgende Katechumenen der Kirchengemeinde Levern besuchten mit Pastor den jüdischen Friedhof von Levern, der auf Niedermehner Gebiet an der L 770 liegt: Melvin Bollmann, Saskia Fastabend, Malea Frickmann, Christian Hemann, Michelle Klocke, Felix Langelahn, Manuel Neugebauer, Miriam Osterwisch, Juran Siebeking, Julia Schmale, Lena Schmelz, Jenny Uetrecht und Lea Wippermann.

Artikel vom 11.11.2006