10.11.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Harsewinkel
ist in guter
Verfassung«

Demographie und die Folgen

Harsewinkel (jaf). Tickt die Bevölkerungsuhr in Harsewinkel anders? Diese Frage wurde am Mittwochabend während der Demographie-Veranstaltung »Zukunft - wir machen mit« im Gymnasium aufgeworfen. »Ja, sie tickt anders. Und das gibt es nicht allzu oft in Deutschland«, so die kurze und knappe Antwort von Dr. Hans-Joachim Keil von der Bezirksregierung.

Weniger kurz und knapp fiel sein Vortrag über den demographischen Wandel in Harsewinkel und seine Folgen aus. Schließlich hatte der Diplom-Volkswirt einiges zu erzählen, was die 100 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Sozialeinrichtungen und Vereinen brennend interessierte. Dr. Keil sprach vom Geburtenüberschuss: »Harsewinkel hat eine junge Bevölkerung und ist in einer vergleichsweisen guten Verfassung. Die Bevölkerungszahlen sind von 6451 im Jahre 1939 auf 24 259 im Jahre 2006 angewachsen - ein überdurchschnittliches Wachstum in allen Perioden. Die Einwohner sind 2,2 Jahre jünger als im Kreisdurchschnitt, 3,2 Jahre jünger als in Ostwestfalen-Lippe und vier Jahre jünger als in NRW«.
Die Anzahl der Deutschen beträgt 22 187. Die Quote der Bürger mit Migrationshintergrund ist in Harsewinkel mit 21 Prozent etwas höher als im Kreis, Ostwestfalen-Lippe und Nordrhein-Westfalen, aber deutlich niedriger als in Bielefeld. »Von einem Spitzenwert in Deutschland kann man also nicht sprechen«, so Dr. Keil, der weiter in seinem umfangreichen Zahlenwerk blätterte.
Nachdem er zunächst die Bevölkerungsentwicklung unter die Lupe genommen hatte, ging er auf die Schulsituation ein: »In Harsewinkel ist der Anteil deutscher Schüler niedriger als im Landesdurchschnitt, der Anteil der Aussiedlerschüler ist hingegen etwas höher als im NRW-Mittel. Und auch das ist nicht typisch für Deutschland«. Im Schuljahr 2004/2005 waren 12,8 Prozent der Schüler Ausländer und zehn Prozent Aussiedler. »Warum leben hier in Harsewinkel so viele Bürger mit Migrationshintergrund?«, so eine Zwischenfrage. »Im Ruhrgebiet gab es zu wenig Arbeitsplätze, OWL ist eine wirtschaftlich starke Region«, so Dr. Keils Erklärungsversuch. Gleichzeitig betonte er, dass seit 2000 mehr Ausländer ab- als zugewandert seien.
Doch zurück zur »Schulbank«: Laut Keil konzentrieren sich einheimische deutsche Schüler vor allem auf das Gymnasium und die Realschule, Aussiedler auf die Haupt- und Realschule und ausländische Schüler vermehrt auf die Hauptschule. »Im regionalen Vergleich erreichen viele Deutsche sowie Aussiedlerkinder einen Schulabschluss, allerdings ist das Bildungspotential der Migranten noch nicht ausgeschöpft. Insbesondere Schüler mit ausländischem Pass müssten mehr gefördert werden. Außerdem müssen auf Grund der überdurchschnittlichen Migrantenquote verstärkte Anregungen für die Integration unternommen werden«, sagte Dr. Hans-Joachim Keil, der die Schulinfrastruktur lobend hervorhob. In diesem Zusammenhang gingen Bürgermeisterin Sabine Amsbeck-Dopheide und die Gleichstellungsbeauftragte Monika Edler-Rustige auf das angestoßene Sprach-Förder-Programm »Rucksack« ein.
Die Schlüsse, die Dr. Keil aus seinen Zahlen zog: Aktuell und zukünftig gibt es auf Grund des Geburtenüberschusses einen hohen Arbeits- und Ausbildungsplatzbedarf. »Vordringlich müssen neue Stellen geschaffen werden, zumal Harsewinkel von 1999 bis 2005 266 Arbeitsplätze für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte verloren hat«, so Dr. Keil.
Seine Prognose: Die Zahl der unter Dreijährigen wird bis 2010 abnehmen und dann bis 2020 jährlich zunehmen (»Das Angebot an Kindertagesstätten muss weiter ausgebaut werden«). Bis 2014 nimmt die Zahl der Grundschüler deutlich ab (»Bei einer Klassenstärke von 23 Schülern sind das elf Grundschulklassen weniger als im Jahre 2004«), danach stabilisiert sich seiner Meinung nach diese Entwicklung weitgehend. Weitere Punkte: Von 2003 bis 2020 erhöht sich die Zahl der Erwerbspersonen vermutlich mit 7,9 Prozent noch stärker als die Zahl der Einwohner (ein Plus von 6,3 Prozent). »Da Harsewinkel aktuell eine relativ junge Bevölkerung hat, nimmt bis 2020 die Zahl der über 75-Jährigen um sage und schreibe 79 Prozent zu. Deshalb gibt es hier in Harsewinkel auch einen hohen Bedarf an Infrastrukturleistungen für ältere Menschen«, prognostizierte Dr. Keil.
Der Experte machte aber Mut, all diese Aufgaben anzupacken: »Bei einer im OWL- und NRW-Vergleich günstigen Finanzsituation hat Harsewinkel finanziellen Spielraum, selbstgesteckte Ziele auch umzusetzen«.

Artikel vom 10.11.2006