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Eine teuflisch turbulente Theaterinszenierung

Neubearbeitung von Grabbe-Drama spaltet Publikum

Von Wilhelm Friedemann
Bad Oeynhausen (WB). Der Dichter Christian Dietrich Grabbe ist ein Kind der Stadt Detmold. Was liegt also für das Landestheater näher, als eines seiner Dramen auf die Bühne zu bringen? Mit »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung« wagte sich das Ensemble an ein skandalträchtiges Werk, das durch Marcus Everdings Neubearbeitung über die ursprünglich schlichte romantische Handlung hinauswächst und Grabbes kuriose Absurditäten überhöht.

»Von Handlung ist in dem Stück keine Rede« heißt es im Polizeibericht aus dem Jahr 1915. Dies nahm Regisseur Marcus Everding zum Anlass, im ersten Akt nicht das Stück selbst zu spielen, sondern sich dem Grabbeschen Stoff in einer Sprechprobe zu nähern. Symbolbeladen begann das Treiben auf der Bühne. Die Ensemblemitglieder nahmen an einer Abendmahltafel Platz, vor sich eine zur Bischofsmütze gefaltete Serviette und eine Flasche Bier.
»Es muss Detmolder Landbier sein«, sprach der Regisseur Joachim Ruczyinski in dem dramatischen Überbau. Und aus einer weiteren Erklärung, die ihm Everding in den Mund legte, erfuhr der Zuschauer mehr vom unbekannten Grabbe-Werk: »Es darf keiner mehr nüchtern sein. - Anders ist das Stück nicht zu verstehen!«
27 Rollen und 13 Schneidergesellen umfasst das Werk in der Detmolder Bearbeitung. Herausragend war Darstellung des Teufels durch Michael Reimann im wechselnden Gewand.
Am Ende des ersten Aktes musste die Probe abgebrochen werden, da die Schauspieler zu betrunken waren. Zum Ausklang stimmte Sänger Wolfgang von der Burg Gershwins »Summertime« an, gespickt mit feiner Ironie, indem er »... and the audience is high« sang.
Der zweite Akt fand als modernisiertes Bühnenschauspiel statt. Der Teufel stand in rotem Leder auf der Bühne. »Heilig, heilig ist nur er« aus Schuberts Deutscher Messe erklang bei seinem Auftritt. Ganz auf die heutige Zeit bezogen war der zentrale Satz des Teufels: »Solange das Geld regiert, ist der Teufel in diesem Lande König.«
Moderne Statussymbole wie Handys wurden genannt, während der Teufel Herrn von Wernthal, gespielt von Oliver Losahand, seine Verlobte Liddy, gespielt von Tina Seydel, abkaufte. Dieser pries sie mit den Worten an: »Die Liddy ist 'ne geile Sau, und Du bist ein kleines Schwein!«
Lautsprecheranweisungen zeigten dem Zuschauer an, dass es sich immer noch um ein Stück im Stück handelt, für das geprobt wird. So konnte der kuriose Einfall umgesetzt werden, den dritten Akt in biedermeierlicher Kulisse werktreu aufzuführen. Das begann mit einem Wetttrinken in der Stube des Schulmeisters. Dort stolperten mit Wein besudelte Figuren über die Bühne; für Nargis Zünbültas gab es Szenenapplaus, als sie in der Hosenrolle des Gottliebchens ohne abzusetzen eine volle Flasche Wein leerte.
In der zweiten Szene tötete Herr von Mordax, gespielt von Jan Felski, die 13 Schneidergesellen. In pantomimischer Darstellung demonstrierten die Schauspieler zu grotesker Musik diverse Tötungsarten. Mordax endete mit dem Satz: »Hat Spaß gemacht!«
Keinen Spaß hat das Stück einem Teil des Oeynhausener Publikums gemacht, das in der Pause oder sogar noch während des dritten Aktes ging. Für Teile der Gesellschaft ist es eben nicht leicht, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen.

Artikel vom 04.11.2006