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Von Manfred Stienecke

Paderborner
Perspektiven

Der Bußgang als Erfolgstrip


Hand aufs Herz: Wer außer den felsenfest davon überzeugten »Machern« hätte noch vor vier Monaten geglaubt, dass sich an der Pader 185 000 Besucher für ein Ereignis interessieren, das fast tausend Jahre zurückliegt und mit Paderborn direkt eigentlich nichts zu tun hat? Dass sich ganze Busladungen von Menschen von weither auf die Reise machen, um verblichene Bücher und zerbröckelte Steine in Augenschein zu nehmen und dass mehr als 1000 Schulklassen geduldig anstehen, um in Vitrinen mit antiquarischen Kreuzen und Reliquiaren zu schauen?
Canossa hat es möglich gemacht und zugleich eine Bestätigung dafür geliefert, dass mit durchdachtem Konzept, wertvollen Exponaten und der entsprechenden Aufbereitung auch ein Bußgang zum Erfolgstrip werden kann, ohne dass dafür der Kniefall vor der populären Event-Kultur erforderlich wäre. Die Paderborner Ausstellungsgesellschaft hat sich mit hoher Kompetenz, mit seriöser wissenschaftlicher Vorbereitung und dem Vertrauen auf die nicht immer einfache Begegnung mit dem Mittelalter auf das Wagnis eingelassen und nach der Karolinger-Euphorie nun auch die Canossa-Begeisterung entfacht. Dafür haben alle Verantwortlichen nicht nur höchsten Respekt, sondern auch einen aufrichtigen Glückwunsch verdient.
Natürlich war das Ausstellungsereignis nicht zum Schnäppchenpreis zu haben. Mit insgesamt 5,1 Millionen Euro war von den drei Gesellschaftern, Sponsoren und Stiftungen und nicht zuletzt den Besuchern - immerhin ein knappes Drittel der Kosten kam durch Eintrittserlöse wieder herein - ein gewaltiger Etat zu stemmen. Doch es hat sich gelohnt. Paderborn hat sich nicht zuletzt mit den zwei großen Mittelalter-Ausstellungen seit 1999 einen Ruf als kulturhistorisch bedeutsame Adresse erworben. In anderen Regionen, das bestätigen beruflich viel reisende Paderborner immer wieder, wird man zunehmend auf die geschichtlich interessante Paderstadt aufmerksam.
Eine dauerhafte Nachwirkung verspricht auch die wissenschaftliche Arbeit, die vor Ort für die Canossa-Schau geleistet worden ist. Die Forschungen, die im Zusammenhang mit der Ausstellung angestoßen und vorangetrieben worden sind, haben zu neuen Erkenntnissen und Zusammenhängen geführt. Zudem haben die Paderborner Museumsmitarbeiter durch ihre intensiven Bemühungen um wertvolle Leihgaben in Europa und Übersee ein weitreichendes Netz an Kontakten und Freundschaften aufgebaut, das für kommende Projekte nutzbar gemacht werden kann. Und schließlich festigt sich der Ruf der Paderborner Universität als einem Zentrum für die Mittelalterforschung in Europa.
Die Bürger aus Stadt und Region - das haben die 100 »Canossa«-Tage wieder gezeigt - lassen sich von diesen Fachleuten gern einladen, auch einmal weit in die Geschichte zurückzublicken. Derart spektakulär aufbereitet und anschaulich gemacht wird der Gang in vergangenen Epochen zu einer spannenden Zeitreise mit hohem Nutz- und sogar Unterhaltungswert. So standen nicht nur die drei Museen zunehmend im Mittelpunkt des Besucherinteresses. Auch das umfangreiche Begleitprogramm mit Vorträgen, Konzerten und sogar einer kabarettistischen »Vertiefung« trafen auf ein dankbares Publikum.
All dies lässt jetzt schon den Wunsch keimen, dass mit dem Ende der Canossa-Ausstellung schon der Beginn eines Folgeprojekts verbunden sei, auf das man sich vielleicht in erneut sieben Jahren freuen darf. Bei den Verantwortlichen hält man sich mit derlei Überlegungen noch bedeckt - verständlich, wenn man die enorme Belastung der letzten Monate berücksichtigt. Doch nach dem hochverdienten Urlaub von Canossa und der Rückkehr zum Alltagsgeschäft wird hoffentlich in absehbarer Zeit schon wieder ein neues Thema reifen, dem man sich in Paderborn mit bewährten und vereinten Kräften widmen kann.

Artikel vom 04.11.2006