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Wort zum Sonntag

Heute von Pfarrer Jürgen Giszas

Jürgen Giszas ist Pfarrer im Kirchenkreis Lübbecke.

Viele Verkehrsexperten beklagen sich über den Schilderwald auf unseren Straßen, weil der in seiner ganzen Vielfalt mehr Verwirrung denn Orientierung schaffe. Und auch wennÕs darum geht, den ganz normalen Alltag zu organisieren - ob nun im Beruflichen oder Privaten: Wir stoßen immer häufiger auf ein bisweilen unüberschaubar gewordenes Geflecht aus Gesetzen, Geboten und Verboten, Ausführungsbestimmungen, Weisungen, Richtlinien und Empfehlungen. Selbst in Glaubensdingen meint man bisweilen, einen ganzen Katalog von Verhaltensmaßnahmen aufzählen zu können, deren mehr oder weniger strikte Befolgung einem das Wohlwollen Gottes geradezu garantiere.
In diese Kulisse hinein erklingt ein Mutmach- und Orientierungswort, das aufgeschrieben steht im Buch des Propheten Micha: »Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott« (Micha 6,8 - Wochenspruch). - Zugegeben: Beim ersten Hinhören klingt dieser Spruch ziemlich »oberlehrerhaft«. Ist aber gar nicht so gemeint! Denn es geht weniger ums Belehren als ums Erinnern.
Der Prophet hat nämlich zunächst das Verhalten seiner Landsleute kritisch hinterfragt. Um die Gunst Gottes zu erlangen, haben die sich offensichtlich fleißig im Opfern geübt. Micha hakt nach: Kann einer die Nähe Gottes in seinem Leben erfahren, wenn er ein Brandopfer nach dem anderen darbringt? Braucht es wirklich einjährige Kälber, tausende von Widdern und unzählige Ströme vergossenen Öls, damit ein Leben schon in dieser Wirklichkeit gelingen und glücken kann (Micha 6,6-7)? Mit Nachdruck hält der Gottesmann dagegen - indem er die Seinen noch einmal erinnert: »Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.«
Ungemein befreiend kommen diese Worte daher, da sie den Blick (wieder) auf das lenken, was wirklich von Belang ist für unser Hiersein: sich Gottes Wort zu Herzen nehmen, darum das Liebhaben zu üben - und letztlich darüber den Mut zu erfahren, anderen vorbehaltlos in Liebe zu begegnen. Denn nichts anderes als die Bereitschaft (Mut), auch für andere da zu sein (dienen), meint das oft missverstandene Wörtchen Demut!
Denk dir nun aber bitte »Wort Gottes« nicht als fixierte Mitteilung. Denn es will nicht an jedem einzelnen Buchstaben gemessen und auch nicht unbedingt wortwörtlich verstanden werden. Wort Gottes meint kein starres Gebot und erschöpft sich nicht in einem wie auch immer gearteten Moralkodex.
Vielmehr ist es voller Leben, drängt geradezu mit Lust in die Welt hinaus und kennt keine Grenzen - weder natürliche noch künstliche. Ursprung und Heimat sind ihm Himmel und Erde gleichermaßen. Wort Gottes ist einfach der Stoff, der macht, dass wir festhalten an dem Vertrauen, dass auch unsere Zukunft gottdurchflutet ist, weil der Erfinder des Lebens dich und mich lieb hat. Aus biblischem Erzählstoff spricht es dich an, es umhüllt dich wie eine wärmende Decke in der Umarmung eines lieben Menschen. Es begegnet dir in Wörtern, Bildern, Gedanken und Gesten, die allesamt eines gemeinsam haben: Sie sind nicht von schlechten Eltern!
Was das Zutrauen in Gottes Wort ausmacht, diesen Zauber finde ich aufgeschrieben in einer Dichtung von Nadine Musfeld: »Wo das Wort vorbeifliegt, wachsen die Gräser, werden die Blätter grün, fällt kein Schnee. (É) Sie kommen immer an, die hellen Worte, sie hören nicht auf anzukommen: sie heißen Liebe.«
Ach, ihr Lieben, warum immer auf Biegen und Brechen alles selbst ordnen und gestalten wollen - und sich darüber mehr und mehr im Netz der eigenen Bestrebungen verfangen?
Weil unendlich beschenkt, müssten wir es nur geschehen lassen, dass Gottes Wort vorbeifliegt. Wie von selbst würden die Gräser wachsen, die Blätter grün werden - und wir würden bestärkt im Glückswissen der Kinder Gottes, unendlich gut behütet zu seinÉ

Artikel vom 28.10.2006