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»Keine Ehrung für Antidemokraten«

Haller Grüne zu Paul von Lettow-Vorbeck: Straßennamen sind Zeitzeugen

Halle (WB/kg). Die »Lettow-Vorbeck-Straße« in Halle sorgt weiter für Gesprächsstoff. Nach der Leser-Kritik von Hanns D. Knoop (Leserbrief im WESTFALEN-BLATT von Freitag) und der Anregung, noch einmal über den Straßennamen nachzudenken, begründet Marlene Hahn noch einmal, warum sich die Haller Grünen bei einer Tiefbau- und Umweltausschusssitzung im August für die Beibehaltung des Namens entschieden haben.

Zudem erinnert sie an das Leben und den Charakter des Generals, der auch von seinen Gegnern geschätzt wurde.
»Wenn es darum ginge, heute eine neue Straße zu benennen, würden wir einen Vorschlag »Lettow-Vorbeck-Straße« ablehnen, stellte sie damals klar. Denn eine Namensgebung werde immer als eine Ehrung verstanden, und einen Mann zu ehren, dessen Name eng mit der Kolonialisierung verbunden sei, der zudem auch zu Zeiten der Weimarer Republik antidemokratische Vorgänge unterstützt habe, komme für die Grünen nicht in Frage.
Gleichwohl sei es Teil der Haller Geschichte, dass es seit Jahrzehnten hier eine Lettow-Vorbeck-Straße gebe, und sage etwas darüber aus, wie die Mehrheit hier damals gedacht habe. Marlene Hahn: »Wenn man die Straßen nicht dem Zeitgeist entsprechend umbenennt, dann sind die Straßennamen so etwas wie Zeitzeugen«. Einen Namen beizubehalten, den man heute nicht mehr vergeben würde, könne Anlass sein, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.
Paul von Lettow-Vorbeck (1870 bis 1964) war bekanntlich im Ersten Weltkrieg Kommandeur der Schutztruppe in deutsch-Ostafrika. Von 1928 bis 1930 war er Abgeordneter der rechtskonservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Angebote Hitlers, in die NSDAP einzutreten oder ein neu zu gründendes Reichskolonialministerium zu leiten, hat er abgelehnt.
Nach Kriegsende verdingte er sich unter anderem als Gärtner. Da die Bundesregierung eine Rente nicht vorsah, sammelte sein Gegner aus dem Ersten Weltkrieg, Jan Christian Smuts (Südafrikanischer Staatsmann und General) unter seinen Offizieren finanzielle Unterstützung für ihn.
Der Mann, dem seine Geburtsstadt Saarlouis 1956 die Ehrenbürgerrechte verliehen hat, wurde nach seinem Tod von der Londoner »The Times« gewürdigt. »Seine Landsleute sahen in ihm einen der größten Nationalhelden, und bei seinen Gegner, sowohl Briten wie Buren, galt er als ein geschickter, großherziger und ritterlicher Soldat«, heißt es darin.
Zwei Dinge sind es, die ihm angekreidet werden: Zum einen sein Verhalten als Freikorpsführer in den Wirren der jungen Weimarer Republik. 1919 war er beteiligt an der Niederschlagung der »Sülze-Unruhen«. Diese waren entstanden, weil der Hamburger Delikatess-Sülze Fabrikant Jacob Heil hungernden Arbeitslosen, entlassenen Soldaten und Zuwanderern aus dem Umland Sülze verkauft hatte, die hauptsächlich aus Kadavern von Hunden, Katzen, Ratten und Mäusen hergestellt worden war. Zum zweiten wird seine Beteiligung am Kapp-Putz kritisiert, wo er sich 1920 zusammen mit anderen Offizieren gegen die demokratisch gewählte Regierung gestellt hatte.

Artikel vom 28.10.2006