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»Lesen ist Familiensache«

Kinderbuchautor Jürgen Banscherus im WB-Interview

Steinhagen (anb). In Steinhagen ist er ein gern gesehener Gast: Kinderbuchautor Jürgen Banscherus. Gestern las der 57-Jährige im Rahmen der Kulturtage in der Gemeindebibliothek einer begeisterten Zuhörerschaft vor. Vorab stellte er sich den Fragen von WB-Redakteurin Annemarie Bluhm-Weinhold.

Sie waren als Journalist, Lektor und Dozent tätig, Sie sind zweifacher Vater: Seit mehr als 20 Jahren schreiben Sie Kinder- und Jugendbücher. Ein Traumjob?
Ja. Das hätte ich anfangs nicht gedacht. Wer für Kinder schreibt, der möchte auch selbst ein Stück Kindheit behalten. Und man erlebt durch das Schreiben wunderbare Sachen, die früher an einem vorbeigegangen sind, noch einmal - wie Pubertät und erste Liebe . . .

Ihre Bücher sind in 15 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Die Kwiatkowski-Reihe mit 16 Bänden hat gerade den »Hansjörg Martin Kinderkrimipreis« bekommen und ist auch in der Steinhagener Bibliothek ungeheuer beliebt. Warum mögen die Kinder den Kwiatkowski so, und was schätzen Sie an ihm?
Er ist nicht der positive Held, der immer gewinnt. Er verliert auch wie in »Duell der Detektive«. Er ist immer zwischen Größenwahn und Depression. Seine Fälle sind für Kinder nachvollziehbar, und es heißt nicht: Kinder retten die Welt. Er erinnert an die großen Figuren der Krimigeschichte wie Philip Marlow und Sam Spade.

PISA und die Konkurrenz von Fernsehen und Internet: Sie suchen durch Ihre Lesungen den Kontakt zu Kindern, Sie sind Vorsitzender der Jury des Vorlesewettbewerbs. Wie begeistert man Kinder für das Buch?
Lesen ist Familiensache. Eltern, die lesen und vorlesen, verführen auch die Kinder. Aber in den Kindergärten müsste noch mehr Erziehung zum Buch stattfinden. Und an die Schulen lautet der Appell: Vergesst die Jungen nicht. Denn mit zwölf liest zwar noch jedes dritte Mädchen, aber nur jeder achte Junge. Das liegt auch daran, dass die Kollegien meist aus Frauen bestehen und die vor allem Bücher aussuchen, die ihnen selbst auch gefallen.

Sie sind ja vorbelastet als Journalist und Polizeireporter. Was fesselt Sie am Krimi?
Ich habe sogar ein Forschungsprojekt an der Uni über polizeiliche Vernehmungen gemacht und durfte bei der Kripo München Mäuschen spielen. Als Kind einer braven Familie war ich fasziniert von Regelverstößen. Und da gibt es keinen größeren als ein kriminelles Delikt. Es ist doch gewaltig, was ein Verbrechen in der Gesellschaft in Bewegung bringt.

Jürgen Banscherus ist nicht nur Krimi-Autor. Sie greifen auch Themen wie Kindesmisshandlung, jugendlichen Leichtsinn und Gruppenzwang auf. Wie erklären Sie Kindern schwierige und heikle Dinge?
Ich möchte gar nicht erklären, sondern versuche, eine Geschichte zu erzählen. Häufig mit offenem Ende. Was daraus wird, das bestimmen die Leser. Da kann man in der Klasse überlegen, was man etwa tun kann, wenn man von einem Mitschüler weiß, der misshandelt wird. Ich halte es mit Marquez: Man soll in Büchern lachen und weinen können.

Artikel vom 26.10.2006