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»Ich hatte Depressionen«

Prozessauftakt um Ex-Anwalt Olaf Ortkraß endet mit einem »Deal«

Von Wolfgang Wotke
Gütersloh/Bielefeld (WB). Sechs Verhandlungstage sind angesetzt, 44 Zeugen sollen gehört werden, 75 Vorwürfe stehen in der Anklageschrift. Doch nach dem Prozessauftakt legte der Gütersloher Ex-Anwalt und Berufsbetreuer Olaf Ortkraß ein Geständnis ab. Am Freitag soll bereits das Urteil gesprochen werden.

Der 43-jährige Familienvater ist angeklagt, Mandantengelder in Höhe von rund 827 000 Euro veruntreut zu haben. Mit diesem Geld soll er seinen aufwendigen Le-bensstil (Edel-Karossen, Traumreisen, wertvolle Pferde und Immobilien) finanziert haben. Teilweise soll er die ihm anvertrauten Menschen um erhebliche Vermögenswerte betrogen haben (wir berichteten).
Verteidiger Rainer Pielsticker verhandelte im Saal eins des Bielefelder Landgerichts mit Oberstaatsanwalt Klaus Steffen und Richter Reinhold Hülsmann über das Höchst-Strafmaß für Olaf Ortkraß, falls dieser voll geständig sein würde. »Für mich tragen die zuständigen Vormundschaftsrichter und Rechtspfleger eine große Mitschuld«, sagte Pielsticker und fügte hinzu, dass erst das komplette Versagen dieser Kontrollorgane und letztendlich auch der Justiz es ermöglicht haben, dass sein Mandant mit »einer Leichtigkeit« diese Straftaten hätte begehen können. Wie sei das alles bloß möglich gewesen, fragte er, dass Ortkraß so ohne weiteres über die hohen Geldsummen verfügen konnte? Zwar sei der Gesamtschaden nicht unerheblich, aber es handele sich hier um Vergehenstatbestände und nicht um Verbrechenstatbestände. Außerdem, so der Bielefelder Anwalt, würde die volle Einlassung zu den einzelnen Anklagepunkten den Geschädigten weitere Vernehmungen ersparen. Pielsticker: »Mein Mandant hat bereits vier Monate in Untersuchungshaft gesessen, er hat jede wirtschaftliche Existenz und Stellung als Jurist verloren, seine Familie ist zerstört und jeder Versuch, auf legalem Wege ein neues berufliches Betätigungsfeld zu erlangen, ist ihm von Amtswegen aus der Hand geschlagen worden. Er steht heute mit nichts da.« Pielsticker forderte deshalb als Höchst-Strafmaß vier Jahre (»Das ist genug«). Das Gericht machte jedoch klar, dass es bei einem umfangreichen und vor allem glaubhaften Geständnis das Höchst-Strafmaß von sechs Jahren nicht überschreiten werde. Oberstaatsanwalt Klaus Steffen sieht den brisanten Fall in einem anderen Licht und die Strafobergrenze bei sieben Jahren: »Der Beschuldigte hat sich selber alles aus der Hand geschlagen. Der Vertrauensmissbrauch ist grob und eindeutig.«
Zuerst äußerte sich Rainer Pielsticker für seinen Mandanten zu den Vorwürfen und räumte sie im Wesentlichen ein. Einige Punkte seien für ihn strittig, an andere könne sein Mandant sich einfach nicht mehr genau erinnern. Dann sagte Olaf Ortkraß, der einen neuen VW-Touareg (Wert: 60 000 Euro) fahren soll, doch noch aus: »Ich hatte jedes Wertesystem verloren, bekam Depressionen und Selbstmordgedanken. Mir war alles egal. Ich wollte möglichst viel Geld mitnehmen.« Zum Schluss meinte er: »Ich will für meine Taten geradestehen.« Das Gericht stellte 22 Fälle mit einer Scha-denssumme in Höhe von rund 117 000 Euro »im Sinne der Verfahrensverkürzung« ein. Verteidiger Pielsticker will erst heute entscheiden, ob noch Zeugen gehört werden sollen.

Artikel vom 25.10.2006