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Tourneen schweißen
die Musiker zusammen

Lange Busfahrten, Konzerte und begeisterte Zuhörer

Von Hartmut Horstmann
Herford/Valencia/Alicante (HK). Anerkennend klopft der Konzertbesucher dem deutschen Gast auf die Schulter. Er reise bestimmt mit dem Orchester, vermutet der Spanier - und fügt hinzu: »Very good!« Das Konzert der NWD in Murcia hat den etwa 60-Jährigen begeistert - wie die anderen 1300 Zuhörer auch.

1000 Klassik-Fans in Valencia, 1300 in Murcia, 850 in Alicante: Hinsichtlich der Besucherzahlen können die Verantwortlichen der Nordwestdeutschen Philharmonie mit dem Start der Spanien-Tournee zufrieden sein. Und auch die Agentur, die das hiesige Orchester für die Konzertreise verpflichtet hat, äußert sich positiv.
Sonne, Strand und Tapas: Die Assoziationen, die deutsche Urlauber mit Spanien verbinden, treffen für das Tourneeleben nur bedingt zu. Zwar liegen die Oktober-Temperaturen im badefähigen Bereich, doch bestimmen Busfahrten, Proben und Konzerte den Ablauf der meisten Tage. Beispielhaft sei Dienstag, der 17. Oktober, erwähnt: Am Abend zuvor ein Konzert in Valencia, nach dem Frühstück folgt um 11 Uhr die Abfahrt nach Alicante. 14 Uhr Ankunft, 16.45 Uhr Weiterfahrt zur Konzerthalle in Murcia, 18.45 bis 19.45 Uhr Proben, um 20.30 Uhr beginnt das Konzert. Nach 24 Uhr sind die Musiker zurück im Hotel in Alicante.
In ihrer Freizeit besichtigen die Philharmoniker die Stadt, ruhen sich aus oder proben auf ihrem Hotelzimmer - wie der 51-jährige Posaunist Manfred Dunst. Aus einer Altposaune und einem Gartenschlauch hat er ein Instrument platzsparend nachgebildet. Hinzu kommt ein Mundstück aus Plexiglas, das der Herforder auch im Urlaub stets im Gepäck hat. »Das dient dem Lippentraining«, erklärt der Musiker. Auch Posaunisten müssen sich fit halten. 20 Minuten am Tag seien für ihn das Minimum, sagt Dunst, der der Philharmonie seit 26 Jahren angehört.
Da sind einige Konzerttourneen zusammen gekommen - trotz der Zusatzbelastung sieht der Musiker vor allem die positiven Effekte: »Die Reisen schweißen zusammen.« Diese Einschätzung teilen die anderen Spanienfahrer. Solofagottist Ulrich Rühl betrachtet die Auftritte in ferneren Gefilden auch als Herausforderung: »Das Orchester wird immer wieder neu beflügelt.« Neue Konzertsäle verlangen von den Musikern, sich auf die stets veränderten akustischen Bedingungen einzustellen. Daher kommt den Proben vor dem Konzert ein hoher Stellenwert zu.
Mit Daniel Klajner werden die Nordwestdeutschen in Spanien von einem kraftvollen Dirigenten geleitet, der seine Laufbahn unter anderem als Assistent von Leonard Bernstein und Claudio Abbado begonnen hat. Jede Probe beendet der Schweizer mit den Mut machenden Worten: »Ich freue mich aufs Konzert.«
Und dann ist da noch der Herforder Pianist Fabio Bidini, der die spanischen Zuhörer bei jedem Konzert aufs Neue begeistert. Saint-Saens, Beethoven: Zum musikalischen Genuss kommt das optische Erlebnis Bidini. Fast hat es den Anschein, als spiele er nicht selbst, sondern agiere als ein Medium, beseelt und unablässig in Bewegung gehalten vom Geiste guter Musik.
Keine Frage: Mit ihrer Tournee bis zum 27. Oktober erweist sich die NWD als guter, weil inspirierter Kulturbotschafter. Das mit den Auslandsreisen gewonnene Renommee macht sich laut Intendant Andreas Kuntze auch in Deutschland bezahlt. Für viele Veranstalter würde die NWD unter dem Hinweis auf internationale Konzerte interessant.
Trotz der sattsam bekannten Finanzdiskussionen ist die Stimmung gut. Der Bassist Randall Nordstrom sagt: »Ich habe einen Beruf, in dem ich glücklich bin.« Dabei sah es für den gebürtigen Amerikaner nicht immer gut aus. Als Solobassist spielte er bei den renommierten Berliner Sinfonikern, bis diese vor zwei Jahren aufgelöst wurden. Seit März zupft er für die NWD den Bass. 56 Jahre ist er alt, für einen Musiker meist kein Alter für neue Karriere-Abschnitte - dass das hiesige Orchester dem Bassisten eine Stelle angeboten hat, empfindet er als großes Glück: »Das war wie ein Sechser im Lotto.«
Das Stimmungsbild der ersten Tage: Mit großer Motivation werden die Philharmoniker ihre Tournee durch Spanien fortsetzen, um beflügelt nach Ostwestfalen-Lippe zurückzukehren.

Artikel vom 21.10.2006