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1846 - 2006: Seit 160 Jahren
in der Region fest verwurzelt

HERFORDER KREISBLATT erscheint am 4. Juli 1846 zum ersten Mal

Herford (HK). Zeitungen gelten häufig als Symbole für die hektischen Veränderungen der Gegenwart, denn sie berichten über Ereignisse, die in den meisten Fällen nur wenige Stunden zurückliegen. Als Chronisten der Gegenwart sind sie die Quellen für die Historiker der Zukunft. Es wird deshalb oft übersehen, dass auch die Tagespresse historische Wurzeln hat, die zum Teil überraschend weit in die Vergangenheit zurückreichen.

Das HERFORDER KREISBLATT kann in diesem Jahr einen runden und gleichzeitig historisch bedeutsamen Geburtstag feiern: Vor 160 Jahren, am 4. Juli 1846, erschien die Zeitung zum ersten Mal. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts schien die Französische Revolution die Grundsätze einer freien Gesellschaft mit einer freien öffentlichen Meinung erstmals in die Praxis umzusetzen. Die Furcht vor einer ungefilterten Verbreitung des revolutionären Gedankengutes führte in fast allen deutschen Staaten zu rigorosen Zensurbestimmungen, die auch nach 1815 aufrecht erhalten wurden. In der Praxis ließ sich eine lückenlose Kontrolle der Presse jedoch nur schwer durchsetzen, sodass die preußische Regierung auch dazu überging, die öffentliche Meinung durch eigene, vom Staat geförderte Zeitungen im konservativen Sinn zu beeinflussen.
Nachdem die Kreisstände in Preußen in den Jahren 1841/42 die Befugnis erhalten hatten, eigene »Kreisblätter« zu gründen, bewarb sich im Juli 1843 der Drucker Adolph Wolff auch in Herford beim dortigen Landrat um die Konzession zum Druck eines solchen Blattes. Das Schreiben ging zunächst zu den Akten. Wolff selbst starb im März 1844, ohne dass bis dahin eine Entscheidung gefallen wäre.
Erst Ende 1845 konkretisierten sich die Pläne für die Gründung eines HERFORDER KREISBLATTES, begleitet von einem regen bürokratischen Schriftwechsel zwischen dem Landrat in Herford sowie den Regierungsbehörden in Minden und Münster. Am 14. Juni 1846 erteilte der Oberpräsident der Provinz Westfalen in Münster die (vorläufige) Genehmigung zur Herausgabe des Herforder Kreisblattes, die vom Format bis zum Inhalt jede Einzelheit genau festlegte, vor allem waren »alle Gebiete der Religion, Kirche, Politik und Tagesgeschichte auch nur entfernt berührenden Mitteilungen von diesem Blatte ausgeschlossen«.
Redakteur der neuen Zeitung wurde der Oberlehrer Dr. Ludwig Hölscher, die Zensur übertrug man dem Herforder Landrat Georg von Borries, sein Stellvertreter wurde der Kreissekretär Leopold Consbruch. Am 4. Juli 1846 war es dann soweit: Das neue HERFORDER KREISBLATT erschien zum ersten Mal. Es kam im wöchentlichen Abstand jeden Sonntagabend heraus, war acht Seiten stark und kostete jährlich 20 Silberbergroschen - das entsprach etwa zwei Tagelöhnen eines Landarbeiters.
Was interessierte den Zeitungsleser vor 160 Jahren? Wie sah das Umfeld aus, in dem er lebte? Welche Nöte und Sorgen prägten seinen Alltag? Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war Herford eine Stadt, deren Umfang noch immer wesentlich von der im 13. Jahrhundert errichteten Stadtbefestigung bestimmt wurde; eine Stadt nebst Feldmarken mit etwa 9000 Einwohnern, deren Leben noch nicht von den hektischen Veränderungen des heraufziehenden Industriezeitalters geprägt wurde. Ein verschwundenes Relikt der romantischen Biedermeierzeit?
Westfalen um 1850 war keine Idylle. Staatliche Bevormundung und feudale Privilegien verhinderten politische Mitwirkung und politisches Interesse gleichermaßen, hinzu kamen die Auswirkungen einer schweren ökonomischen und sozialen Krise. Die Handarbeit der auf dem Land lebenden Flachspinner und Leinenweber war der Konkurrenz der englischen Maschinen nicht mehr gewachsen. Parallel zu diesen strukturellen Problemen im Übergang zum Industriezeitalter verlief ein erheblicher Reallohn-Verlust der gewerblichen Wirtschaft, der auch das städtische Handwerk in den Strudel der ökonomischen Kreise hineinriss.
Dieses Massenelend des »Pauperismus« wurde zur Katastrophe, als die Ernten der 1840er Jahre durchweg schlecht ausfielen. 1845/46 folgte auf die schlechte Getreideernte auch noch die Vernichtung eines Großteils der Kartoffelernte durch Fäulnis. Vor allem in ärmeren Bevölkerungsschichten grassierten in jenen Jahren Tuberkulose und Hungertyphus, materielle Not und Verzweiflung.
Ein Großteil der Artikel in den früheren Ausgaben des HERFORDER KREISBLATTES reflektierte unmittelbar die Auswirkungen der schweren Agrarkrise jener Zeit. Berichte über den »Rost des Rockens«, eine durch Rostpilze verursachte Pflanzenkrankheit, die neben Roggen auch andere Getreidearten befallen und zu erheblichen Ertragseinbußen führen kann, sowie eine Artikelserie »Zur Kultur des Roggens« im Oktober 1846 waren eine Reaktion auf die Missernten jenes Jahres.
Vor allem für die unteren Schichten der Bevölkerung war die Kartoffel längst zum wichtigsten Nahrungsmittel geworden. Die rätselhafte Kartoffelkrankheit, ihre Ursachen und Möglichkeiten ihrer Bekämpfung wurden aus diesem Grund im KREISBLATT ausführlich beschrieben.
Die Verarmung vieler Menschen spiegelte sich ebenfalls in zahlreichen Artikeln wider. Sie belegen, dass die allgemeine Not auch im Alltagsleben deutlich sichtbar und durch polizeiliche Ordnungsmaßnahmen kaum noch zu steuern war.
Wegelagerer, beispielsweise im Raum Rehme, gefährdeten den Personen- und Frachtverkehr. In der Stadt Herford wurden Postkutschenreisende während der Rast immer häufiger durch umherziehende Bettler belästigt, auch die Einwohner verlangten einen besseren Schutz, denn in einem Fall waren »bei einem einzigen Haus an einem Tag 97 Bettler erschienen«.
Zahlreiche Spendenaufrufe für die »Armenpflege« oder die »Wohltätigkeitsanstalten« versuchten die Folgen des Massenelends zu lindern, dagegen beschäftigten sich nur wenige Zeitungsartikel mit der Bekämpfung der Ursachen.
Dazu gehörte die nüchterne Erkenntnis, dass Geldspenden keine dauerhafte Lösung bewirken können. Stattdessen forderte man die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, beispielsweise durch den Bau einer Eisenbahnstrecke.
Der Bau der Cölln-Mindener-Eisenbahn war ein bedeutender historischer Einschnitt. Die erste Lokomotive erreichte Herford am 2. Oktober 1847, die Eröffnung der Strecke im gleichen Monat beschrieb das KREISBLATT in einem enthusiastischen Bericht: Fortsetzung Seite 21

Artikel vom 28.10.2006