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Rat nicht mehr Herr des Verfahrens

Zum Thema Nordumgehung schreibt ein Leser:

Politikverdrossenheit ist ein allseits beliebter Begriff, wenn es darum geht, bestimmte Verhaltensmuster des Bürgers zu erklären, zu beklagen oder beides zu tun. Für den Betroffenen hingegen ist der Zustand der Verdrossenheit höchst willkommen und erstrebenswert. Kann er doch als Verdrossener jetzt auf gewisse, für manchen recht anstrengende Kulturtechniken verzichten, die ihm ansonsten im Beruf und oft auch im Privatleben zwingend abverlangt werden: Die Verdrossenheit legitimiert ihn, fürderhin seine Meinung nicht mehr begründen zu müssen. Er muss nun nicht mehr Sachstände ermitteln und Zusammenhänge beurteilen, logische Stimmigkeit prüfen und Wertentscheidungen abwägen. Der Verdrossene kann seine Meinung einfach aus der Zeitung oder sonst woher übernehmen, er kann ganz auf sie verzichten oder seine Überzeugung in Freiheit erschaffen, um sie morgen durch eine andere zu ersetzen.
Nur so lässt es sich erklären, warum zahlreiche Mitbürger ernsthaft der Auffassung sind, der Rat der Stadt verschließe sich Alternativen und halte stur an der Nordumgehung fest. Schließlich könne er ja seine Meinung auch ändern und etwas anderes beschließen. Unverdrossene Recherche hätte diesen Anklägern offenbart, dass dieser Rat gar nicht mehr Herr des Verfahrens ist. Nachdem vor 13 Jahren ein anderer Stadtrat seine Zustimmung zur Nordumgehung gegeben hatte, ist das Verfahren auf den Bund beziehungsweise den Bundesfernstraßenbau übergegangen, der es an das Land NRW zur Auftragsverwaltung weitergegeben hat, wo nach rechtsstaatlichen Prinzipien ein Planfeststellungsverfahren mit Bürgerbeteiligung eingeleitet wurde, das in einem entsprechenden Beschluss (Baugenehmigung) einmünden soll.
Der Rat der Stadt kann an diesem Punkt des politischen Prozesses beziehungsweise des Verwaltungsverfahrens bestenfalls noch auf einzelne Schritte einwirken, etwa die Erhöhung des Schallschutzes - und das machen Rat und Verwaltung, deren Chef im übrigen auch nicht den verdrossenen Anwürfen gegen den Rat entgegentritt, weil er froh ist, selbst einen Moment aus der Schusslinie zu sein.

FRIEDRICH SCHIERMEYER32547 Bad Oeynhausen

Artikel vom 21.10.2006