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Vom Ersatzreiter zum Goldgewinner

Herforder Wolfgang Brinkmann wird im Jahr 1988 von zigtausend Bürgern begeistert empfangen

Von Harald Schwabe
Herford (HK). Der 28. September 1988: In den frühen Morgenstunden des Mittwochs sichert sich der Herforder Wolfgang Brinkmann auf »Bugatti Pedro« mit der deutschen Reiter-Equipe die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Seoul. Das in Herford weit verbreitete Daumendrücken der letzten Tage hatte geholfen.

Zwölf Jahre nach Helmut Rethemeiers Military-Silbermedaille in Montreal steht damit erstmals wieder ein Sportler aus dem Wittekindskreis ganz oben auf dem Siegertreppchen bei der bedeutendsten Sportveranstaltung der Welt. Eine phantastische Leistung des damals 38-jährigen Unternehmers und des neunjährigen westfälischen Wallachs.
Mit dieser Goldmedaille hatte die wenigsten gerechnet. Aber Wolfgang Brinkmann zeigte es allen, die ihm im Vorfeld der Olympischen Spiele die sportliche Qualifikation für den schwierigsten sportlichen Wettkampf der Welt absprechen wollten. Was war das für ein Theater! Mal rein in die Mannschaft, mal raus - bis wenige Tage vor dem Abflug musste der Herforder Springreiter um seine Nominierung bangen. Paul Schockemöhle, Rene Tebbel und Helena Weinberg, das waren Bundestrainer Herbert Meyers Favoriten. Doch einer nach dem anderen blieb auf der Strecke. Schließlich bekam Brinkmann sein Ticket und seine Chance als vermeintlicher Ersatzreiter. In Seoul begann das Hickhack von neuem. Aber nach »Landlords« Krankheit (dem Pferd von Karsten Huck) führte kein anderer Weg mehr an dem Herforder Bekleidungsunternehmer vorbei. Er nutzte seine Chance glänzend.
Die Pferde der deutschen Reiter sprangen am besten, holten sich Gold mit 17,25 Punkte vor den USA (20,50 Punkte) und Frankreich (27,50 Punkte). Aber am höchsten sprang Paul Schockemöhle, als Ludger Beerbaum mit The Freak (Mühlen), Franke Sloothaak (Mühlen) mit dem neunjährigen Hannoveraner Fuchswallach Walzerkönig, Dirk Hafemeister (Berlin) mit seiner elfjährigen Holsteiner Stute Orchidee und eben der Herforder Wolfgang Brinkmann als Olympiasieger feststanden. Da hätte Schockemöhle sogar olympische Hochsprung-Ambitionen anmelden können.
Das Gold der Deutschen hat alle verblüfft. Die Reiter, die Funktionäre und vor allem die Amerikaner, Briten und Franzosen. Mit diesem Gold hatten nicht einmal die Experten vom Bundesleistungssport, an der Spitze mit dem Herforder Helmut Meyer, gerechnet, schon gar nicht die Reiter selbst. »Wer mir vorher gesagt hätte, dass wir Gold gewinnen und unser bester Mann, Franke Sloothaak, im zweiten Umlauf gar nicht mehr einzusetzen brauchen, den hätte ich einfach für verrückt erklärt,« sagte Bundestrainer Meyer.
Beerbaum gab seinen Kameraden mit einem Null-Fehler-Ritt - die 0,25 Zeitfehler wurden mit einem Lächeln registriert - und einem Abwurf in beiden Umläufen Selbstvertrauen. Dabei ritt Beerbaum nicht einmal seinen bewährten Landlord, der musste verletzt im Stall bleiben. Dirk Hafemeister stellte den Teamkollegen sein Ersatzpferd »The Freak« zur Verfügung - und das neue Paar kam bestens klar. Wolfgang Brinkmann wuchs nach neun Fehlerpunkten aus dem ersten Umlauf über sich hinaus. Nach seinem Null-Fehler-Ritt war der Weg zur Goldmedaille frei.
In der Werrestadt wurde der Gewinn der Goldmedaille lautstark bejubelt. Am Eibenweg, eher eine sonst stille Wohngegend in Herford, wo die Eltern vom Goldjungen wohnten, ging es zu wie in einem Taubenschlag. In der Nacht zum Mittwoch hatte die Brinkmanns, eine angesehene Herforder Unternehmerfamilie, ab 1.30 Uhr vor dem Fernseher gesessen, um nur ja keinen Ritt der Mannschaft und ihres Sohnes zu verpassen. Immer wenn es spannend wurde, weckte Oma Margot auch die Enkelkinder Thorsten und Markus, damals elf bzw. acht Jahre jung, da ihre Mutter mit nach Seoul geflogen war. Als dann am Morgen die Entscheidung fiel, da saßen Großeltern und Enkel gemeinsam auf der Bettkante und erlebten den Triumph ihres Papas und Sohnes mit. Und dann flossen die Freudentränen.
Der Gewinn der Goldmedaille löste unter den Freunden und Vereinskameraden einen Riesenjubel aus, der spätestens nach der Rückkehr aus Seoul in einen wahren Freudentaumel überflog. Gustav Meyer zu Hartum, Vereinsvorsitzender des RV »von Lützow« Herford, erinnerte sich an die ersten Jahre, als Wolfgang unter Reitlehrer Heinz Stranghöner »die erste reiterliche Muttermilch gesogen hat«. Er lobte den Goldmedaillengewinner als einen »Mann der Scholle«, ein Herforder, der sich jederzeit für den Verein einsetzt. Und der damalige Kreisreiterverbandsvorsitzende Gerhard Haversiek sollte recht behalten, als er nach dem Erfolg im Jahre 1988 von einem »Langzeiteffekt für die Reiterei im Kreis« sprach und Brinkmanns Goldmedaillengewinn als »wahnsinnigen Motivationsschub für die Jugendliche sah.«
Ein Mann, der nach dem wohl größten Erfolg eines Herforder Sportlers einige Tage unter Schockwirkung stand, war Wilfried Weitkamp. Er war in der Tat der »Vater des Erfolges, hatte er doch den »Überflieger« Bugatti Pedro entdeckt und gekauft. Es war 1983, fünf Jahre zuvor, als Weitkamp in den Raum Paderborn fuhr. In der Stallgasse beim Landwirt Heinrich Kenkenburg in Delbrück stand ein vierjähriger brauner Wallach namens Pedro. Weitkamps erster Eindruck war sofort positiv: »Der Typ ist super«. Als Pedro dann einen Probesprung über ein ein Meter hohes Hindernis absolvieren musste, wuchs Weitkamps Interesse: »Da war alles drin. Mir imponierte die Ur-Kraft des Pferdes«. Als der Pferde-Experte dann auf Pedro saß, stand sein Entschluss fest: »Den kaufe ich.« Für einen »Appel und ein Ei« ging der Braune mit nach Herford und wurde später in die Hände von Wolfgang Brinkmann übergeben.
Erste große Erfolge stellten sich schnell ein. 1986 auf dem Kreisturnier in Exter schwärmte auch Pferdefachmann Hansi Obermowe: »Pedro geht mit zur Olympiade nach Seoul«. Er sollte, wie sich zwei Jahre später herausstellte, Recht behalten. Dass Pedro dann aber sogar die Goldmedaille holte, das hatte zwei Jahre zuvor niemand auch nur annähernd vermutet.

Artikel vom 28.10.2006