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Ron Carter zupft sich
in Publikums-Herzen

Weltklasse-Bassist brilliert bei »Jazz in Gütersloh«

Gütersloh (WB). Ron Carter hatte sich dem Gütersloher Publikum schon im Herbst 2003 mit seinem Auftritt in der Apostelkirche als Bassist der unbegrenzten Möglichkeiten präsentiert. Diesen Eindruck bestätigte der elegante Amerikaner am Montagabend mit einem grandiosen Trio-Konzert im ehemaligen Jugendzentrum: Zusammen mit dem singenden Pianisten Steven Scott und Russell Malone an der Gitarre servierte Ron Carter dem Publikum seine Lieblings-Standards.

Darunter waren so bekannte Stücke wie »My Funny Valentine« oder »The Golden Striker« aus der Feder des MJQ-Pianisten John Lewis, die Carter mit seinen beiden Trio-Kollegen aber nicht bloß interpretierte, sondern, so schien es, Stück für Stück auseinander nahm und schließlich zum Erstaunen des Publikums zu neuen, bemerkenswerten zusammensetzte, hier und da mit prägnanten Zitaten des Originals garniert. Carter ließ sich in diesem Prozess dankenswerter Weise zu zahlreichen der ihm eigenen, technisch brillanten Soli hinreißen, die vor Ideenreichtum und aus dem Moment geborener Brillanz nur so sprühten. Dabei strahlte der hünenhafte Bassist eine souveräne Eleganz aus, die nur wenige Jazzmusiker auszeichnet und bestens zu diesem kammermusikalisch angehauchten Jazzabend passte.
Ein feines Gespür hatte der 69-jährige Bassist auch bei der Auswahl der beiden Musiker für sein »Ron Carter Golden Striker Trio« bewiesen: Russell Malone hatte sich dem Gütersloher Publikum ja bereits vor fünf Jahren im legendären Ray Brown Trio als swingender Begleiter an der halbakustischen Gitarre empfohlen, der er auch diesmal wieder die für ihn mittlerweile charakteristischen warmen Töne entlockte. Wilde Virtuosität ist seine Sache nicht, er verstand sich an diesem Abend vielmehr als charismatischer Begleitmusiker, der sich und sein Spiel ganz dem Trio verpflichtete.
Weniger zurückhaltend präsentierte sich der agile Stephen Scott am Flügel, der Ron Carter schon 2003 begleitet hatte. Charakteristisch für den jungen Pianisten ist neben einer virtuosen Spontaneität der Falsett-Gesang, mit dem er seine Klavierläufe zu begleiten pflegt. Bandleader Ron Carter nutzte diese früher unter Jazzpianisten weit verbreitete, mittlerweile aber nahezu ausgestorbene Marotte zu augenzwinkernden Zwiegesprächen mit seinem Trio-Kollegen. Eine höchst angenehme spielerische Leichtigkeit, die das Trio über die gesamte Konzertlänge aufrechterhalten konnte und die ein weiterer Beweis für die überlegene individuelle Klasse aller drei Musiker, aber auch für ihre Fähigkeit zum interaktiven Zusammenspiel war, das vor allem beim Jazz-Trio unverzichtbar ist. Mit dem Titelsong »The Golden Striker« zog das Ron Carter Quartet nach knapp zwei Stunden den Schlussstrich unter einen intensiven Jazzabend, mit dem sich dieser einmalige Bassist endgültig in die Herzen des Gütersloher Publikums gespielt hatte.
Collin Klostermeier

Artikel vom 18.10.2006