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Vom Reck-Spezialisten
zum Mehrkämpfer

Die WM-Wandlung des Fabian Hambüchen

Aarhus (dpa). Nach der letzten Übung stand er wie ein begossener Pudel verloren in der Arena und stierte minutenlang auf die Anzeigetafel. Dann sank er nieder und hämmerte mit der Faust seinen Frust in die Bodenmatte: Fabian Hambüchen konnte es nicht fassen.

»Die Reck-Erinnerung kam sofort in mir hoch. Ich musste durchatmen und eine Last abwerfen«, schilderte der Turner die Situation. Zum zweiten Mal nach der EM hatte er es nicht geschafft, seine so hochkarätige Übung sauber ans Reck zu bringen. Wieder der Absturz, wieder steht der Mitfavorit an seinem Paradegerät mit leeren Händen da.
Doch bei der WM stellt sich die Situation anders dar als noch im Mai bei den EM im griechischen Volos. Trotz der verpassten Reck-Show verbuchte der Gymnasiast in Aarhus gleich eine Serie von Erfolgs-Erlebnissen: Er führte die Riege auf einen glänzenden sechsten Platz, erreichte das Sprung-Finale und verbuchte mit 91,075 Punkten auf Platz fünf hinter vier Asiaten ein Mehrkampf-Ergebnis, das wieder eine neue Motivation in ihm freisetzte. »Jetzt will ich im Team-Finale voll durchstarten und vielleicht gelingt es mir danach, im Mehrkampf gut durchzukommen: Dann ist da vielleicht eine Überraschung drin.«
Der Hoffnungsträger empfing von Cheftrainer Andreas Hirsch trotz seines Malheurs Komplimente: »Wie er sich nach dem Patzer in den Dienst der Mannschaft gestellt hat und seine Übung im zweiten Anlauf für das Team perfekt durchgeturnt hat, war Klasse. Da hat er Persönlichkeits-Qualitäten bewiesen.« Hirsch machte auch klar, warum dieser Aufstieg des Teams mit vier Turnern des Jahrgangs 1987 möglich war: »Wir haben ein Klima geschaffen, in dem jeder von uns Rückendeckung erhält. Die Jungs haben sich ein Ziel gesetzt und dieses erreicht. Aufgesetzte Zielstellungen haben in der Vergangenheit eher lähmend oder schockierend gewirkt.«
Weiteres Beispiel dafür war Thomas Andergassen, der am Seitpferd bei nachlassenden Kräften auf eine halbe Drehung beim Abgang verzichtete und mit 15,125 dem Team eine Top-Note einbrachte, anstatt alles auf eine Karte zu setzen, um in das Finale einzuziehen.
Doch dann war der Coach in Gedanken beim heutigen Teamfinale: »Jetzt müssen wir auf dem Teppich bleiben und aufpassen, dass die ganz Jungen jetzt nicht zu weit nach vorn preschen. Wir dürfen nicht nach den Sternen greifen und uns dann wundern, warum wir unsere Möglichkeiten nicht umgesetzt haben.«
Fabian Hambüchen wird heute fünf Mal an die Geräte gehen. Bis auf das Seitpferd wird er sich der Qualifikation somit an allen Geräten vorstellen. Thomas Andergassen turnt am Seitpferd, den Ringen und am Barren. Gleichfalls drei Mal gehen die Cottbusser Philipp Boy (Sprung, Reck, Boden) und Robert Juckel (Pferd, Ringe, Reck) an die Geräte. Zu je zwei Einsätzen kommen Eugen Spiridonov (Pferd und Boden) sowie Marcel Nguyen (Sprung und Barren).
Die deutschen Frauen haben gestern eine durchwachsene Leistung abgeliefert. Nach vielen Fehlern vor allem am Schwebebalken kamen sie im zweiten Durchgang der Qualifikation nur auf 222,125 Zähler und belegen damit im Zwischenklassement Rang zehn. Die frühere Usbekin Oksana Tschussowitina, die erst in der Vorwoche ihren deutschen Pass erhalten hatte, war an allen vier Geräten die mit Abstand beste deutsche Turnerin (59,075).

Artikel vom 17.10.2006