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Praktikanten als billige Hilfskräfte

Berufsschulleiter verfolgt Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit Sorge

Von Per Lütje (Text und Foto)
Löhne (LZ). Die Zahlen sind alarmierend: Im Kreis Herford ist die Zahl der Ausbildungsplätze gegenüber dem Vorjahr um 25 Prozent zurück gegangen. Dass das August-Griese-Berufskolleg dennoch nicht aus allen Nähten platzt, hat einen einfachen Grund. Immer mehr Jugendliche versuchen über Praktika, doch noch den Fuß zwischen die Lehrstellentür zu bekommen. Eine Entwicklung, die Schulleiter Friedel Böhse skeptisch beobachtet.

»Ich freue mich natürlich für jeden, der durch solch ein Praktikum eine Lehrstelle erhält«, sagt Böhse. Doch der Regelfall sei dies nicht. Viele dieser Jugendlichen - und es sind vor allem jene, die ein schlechtes Schulzeugnis oder auch gar keinen Abschluss vorweisen können - hangeln sich von Praktikum zu Praktikum, ohne sich für weitere Aufgaben zu qualifizieren.
»Es ist wohl in manchen Fällen das Geld, dass diese jungen Menschen lockt«, vermutet der Leiter des August-Griese-Berufskollegs. Denn diese Praktika in Unternehmen werden monatlich zwischen 172 und 192 Euro vergütet. Vermittelt werden sie von privatwirtschaftlichen Trägern, die angesichts der zunehmenden Ausbildungsplatzmisere wie Pilze aus dem Boden schießen.
Statt sich durch Weiterbildung und die Erlangung eines höheren Bildungsabschlusses auf einer Berufsschule für eine Lehrstelle zu empfehlen, steigt die Zahl derer, die sich als Praktikanten verdingen und so billige Arbeitskräfte für Unternehmen sind. »Wir brauchen keine Hilfskräfte auf Niedriglohnniveau. Was wir brauchen, sind technisch qualifizierte Arbeitskräfte«, sagt Friedel Böhse. Und diesem Anspruch wollen er und seine Kollegen an der August-Griese-Schule gerecht werden.
2 200 Schüler, zu 99 Prozent Jungen, drücken derzeit in der größten Einrichtung der Werrestadt die Schulbank, pauken Theorie, lernen in den schuleigenen Werkstätten aber auch die Praxis kennen. »Das kann eine betriebliche Ausbildung nicht ersetzen, aber sie haben die Chance, sich durch Weiterbildung für einen Ausbildungsplatz zu qualifizieren«, sagt Böhse. Diese Chance sieht er bei den Praktikanten als minimal an. »Wir haben 200 solcher Jugendlichen hier, die in der Woche lediglich einen Tag an der Berufsschule verbringen, drei Tage Praktikum absolvieren und einen weiteren Tag von ihrem Träger geschult werden. Dadurch werden ihre schulischen Leistungen in einem Jahr nicht besser werden«, sagt Böhse. Zudem seien die Anforderungen an junge Menschen in der Ausbildung erheblich gestiegen. »Und an diesen Anforderungen werden sie scheitern«, malt der Schulleiter ein düsteres Bild von der Zukunft der Jugendlichen. Er befürchtet vielmehr, dass sie immer wieder in Maßnahmen landen und sich von der einen zu der nächsten hangeln.
In manchen Berufen kann ein solches Praktikum aber vielleicht doch ein Sesam-Öffne-Dich sein, macht Friedel Böhse den Teilzeit-Berufsschülern dann doch ein bisschen Hoffnung. »Ein Maler zum Beispiel, ohne dieses Handwerk schmälern zu wollen, legt Wert auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Wenn ein junger Mensch diese Bedingungen erfüllt, dann kann zum Beispiel eine schlechte Mathematiknote nachrangig sein. In technisch höher qualifizierten Ausbildungsgängen hat ein solcher Schüler dann aber wiederum keine Chance.«
Friedel Böhse nimmt aber nicht nur die Jugendlichen in die Pflicht, sondern in erster Linie die Wirtschaft. »Sie zieht sich immer weiter aus ihrer Verantwortung zurück, während Rekordgewinne eingestrichen werden. Das gilt natürlich nicht für den kleinen Handwerksbetrieb, der von der Auftragslage abhängig ist. Wenn die Leute aber nur wenig Geld zur Verfügung haben, können sie nunmal nicht viel ausgeben und der Handwerker erhält zu wenig Aufträge«, so Böhses Rechnung.

Artikel vom 17.10.2006