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Fragile Gläser
einst in Butter
transportiert

Zu Besuch in Glashütte Erpentrup

Bad Driburg/Erpentrup (WB/rob). In Bad Driburg wird morgen nicht nur das Glasmuseum eingeweiht, auch in Erinnerung an die vielen Glashütten und Glasmacher der Region soll eine Glashandwerker-Figur aufgestellt werden. Bad Driburg ist auch heute noch ein Zentrum der Glasherstellung.
Mit einem VHS-Fotoseminar war Bettina Niemeyer aus Paderborn jetzt in der Glashütte Erpentrup und berichtet über die Produktion. Viel Übung und Geschick seien erforderlich, um aus einem glutroten, 1200ยก C heißen Tropfen flüssigen Glases blau gestreifte, bauchige Vasen, massive Tierfiguren oder filigrane, bunte Kugeln zu zaubern. Live dabei sein können Interessierte in einem der letzten Glasmacherbetriebe der Region, der Waldglashütte in Erpentrup, berichtet Niemeyer.
»Alles in Butter« war früher für den Glasmacher, wenn sich seine überaus kostbare Ware auf dem Weg zu den weit entfernten, fürstlichen Auftraggebern befand: Um Glasbruch auf den langen, holprigen Transportwegen auszuschließen, wurden die fragilen Produkte in Butter oder andere Fette gebettet und erreichten so ihr Ziel.
Auch wenn die Glaskünstler sich heute moderner Technik bedienen, erfolgt die Herstellung ihrer Produkte im Grunde noch nach uralten Methoden. In der ehemaligen Glashochburg um Bad Driburg betreibt Familie Stürmann in Erpentrup die letzte handwerkliche Glasmacherwerkstatt und lässt Besucher an der Herstellung teilhaben.
Wer den Blick abwenden kann von zahlreichen Schalen mit knallbunten Glasperlen in vielen Formen und Größen, von Unmengen farbiger, zarter Glaskugeln, Tierfiguren, von fantasievollen, massiven Glasskulpturen, Vasen und Windlichtern, entdeckt in seitlichen Nischen des lang gezogenen Verkaufsraumes liebevoll zusammengestellte Szene. Da ist zunächst der eiförmige, etwa drei Meter hohe Nachbau eines mittelalterlichen Glasschmelzofens, der so gar keine Ähnlichkeit mehr hat mit den drei schweren gusseisernen Kühlöfen und dem eckigen Schamott-Schmelzofen, der mit Propangas betrieben wird. Ein anderes Ensemble veranschaulicht den Aufwand, der für den Transport der Glaswaren in mit Stroh gefüllten Eselskarren betrieben werden musste.
Eine üppig ausgestattete Gravier-Abteilung mit riesigen runden Schleifsteinen an den Wänden ist zu besichtigen und natürlich eine alte Glasmacherwerkstatt. Die Werkzeuge ähneln den heutigen noch sehr. Aber wahrscheinlich nimmt der Besucher dies alles nur flüchtig auf, denn er wird magisch angezogen von der modernen Glaswerkstatt am Ende der großen Halle.
Holzbänke laden bis zu 50 Interessierte ein, in Ruhe die Verwandlung eines orange glühenden Glastropfens in eine blau verzierte Vase oder eine massive Tierfigur zu verfolgen. In der Werkstatt kann von Ruhe nicht die Rede sein. Ständig wechselt der Glasmacher Tobias Stürmann zwischen Schmelzofen und Werkbank, die lange Glasmacherpfeife drehend oder schwenkend.
Nur 60 Sekunden kann er das flüssige, glühende Glas am Ende des Rohres bearbeiten, bevor es im Ofen wieder geschmolzen werden muss.
Für die Herstellung von Vasen rotiert der junge, schlanke Mann ständig geschickt die etwa ein Meter lange Stange mit der linken Hand, damit die Schwerkraft nicht den plastischen Hohlkörper verformt. Flink bearbeitet er dabei das Werkstück mit großen Scheren, Pinzetten oder Zangen, auch mit einer Gasflamme, oder er rotiert es zwischen einem Packen nassen Zeitungpapiers wie in einem aufgeschlagenen Buch, um eine perfekte Rundung zu erzielen.
Zu diesem Zweck wurden früher die Holzformen verwendet, die noch so zahlreich vorhanden sind. Ehe man sich versieht, verschwindet eine 40 Zentimeter große, bauchige Vase mit spiralförmig verlaufenden, blauen Streifen in dem wuchtigen Kühlofen mit der gusseisernen Tür. Kurz ordnet der flinke Handwerker seine Werkzeuge, und schon greift er sich eine neue Glaspfeife und ein neues Kunstobjekt entsteht.

Artikel vom 14.10.2006