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Kochen statt
Miete zahlen

Senioren-Studenten-WG hilft beiden

Von Karoline Springer
Münster (dpa). Ihre Miete begleicht sie mit chinesischen Reisgerichten, Blumen gießen, aufräumen und anderen Hilfen. Dafür braucht die 21-jährige Studentin Lulu Liu ihrem Vermieter in Münster keinen Cent fürs Zimmer zu überweisen.

Zwölf Quadratmeter ist es groß, mit Balkon. Benutzung von Küche, Wohnzimmer, Büro und Computer sind inklusive. »Wohnen für Hilfe« lautet der Deal zwischen Lulu und dem 82 Jahre alten David Bauer - eine Wohnpartnerschaft zwischen Jung und Alt wie es sie mittlerweile bundesweit in elf Städten gibt, seit 1996 in München, gefolgt unter anderem von Freiburg, Köln und Münster.
»Als ich alleine war, fiel mir die Decke auf den Kopf. Ich bin kaum noch rausgegangen. Das war ein Lotterleben«, erzählt der Senior, dessen Frau im März gestorben ist. Doch seit die chinesische Studentin in sein 140 Quadratmeter großes Haus eingezogen ist, lebt der 82-Jährige auf und fühlt sich jünger als zuvor. »Ich werde angeregt. Es erfrischt mich, wenn ich reden und denken muss.« Auch seine Tochter Brigitte (45) sieht den Wandel: »Er war unglücklich allein. Ganz agil und zufrieden ist er nun geworden.«
Seit August sind Lulu aus der chinesischen Provinz Hunan südlich des Jangtse-Flusses und David Bauer ein Senioren-Studenten-Wohnpaar, von denen es in NRW in Köln und Münster 31 gibt. Getragen werden die 2005 gestarteten Projekte von der Stadt Münster und der Universität Köln mit wissenschaftlicher Begleitung. Die Koordination samt kostenloser Vermittlung und ausführlichen Bewerbergesprächen fördert das Land für drei Jahre mit 340 000 Euro.
Als Gewinn für beide Seiten bezeichnen Altersforscher die Partnerschaften: Studenten sparen Geld, ältere Menschen bekommen Hilfe - vom Kochen bis hin zur Begleitung zum Arzt - Pflege ist aber ausgeschlossen. Doch es gehe nicht nur darum, billig zu wohnen oder Hilfe zu erhalten, sagt die Münsteraner Projektkoordinatorin Christa Reiffer. Als entscheidendes Auswahlkriterium bei der Bewerbung gelte das »vitale Interesse an der anderen Generation«. Für die Partnerschaft heißt die Faustregel: Eine Stunde Arbeit im Monat pro ein Quadratmeter Wohnfläche, Nebenkosten müssen gezahlt werden.
Nicht so bei David Bauer und seiner Wohnpartnerin, die per Anzeige und Flyer auf das Projekt aufmerksam geworden sind. Die junge Chinesin, die sich zur Zeit am Studienkolleg in Münster für ein Wirtschafts-Studium bewähren will, zahlt kein Geld. »Ich brauche es nicht«, erklärt ihr 82 Jahre alter Vermieter. Die Arbeit wie Abfall entsorgen und gemeinsames Fernsehen wird Pi mal Daumen abgerechnet.
Altersforscher sehen weitere Vorteile des vorbildhaften Projekts: »Zentrale Faktoren für das gesunde Altern sind soziale Integration, Kommunikation und Kontakt zu jüngeren Menschen«, sagt Experte Eckart Schnabel vom Institut für Gerontologie an der Universität Dortmund. Zudem erhielten die jungen Menschen ein neues Bild des Alterns.
Bislang übersteigt laut Organisatoren die Studentennachfrage das Angebot um ein Vielfaches. »Die älteren Menschen müssen überzeugt werden«, sagt Uta Renn, Vorsitzende der Landesseniorenvertretung NRW. »Sie sind oft misstrauisch, wen sie ins Haus kriegen.« Doch Misstrauen hatte David Bauer nicht. »Ich habe nur gefühlt, dass jemand da ist, nicht, dass es fremd ist.«

Artikel vom 16.10.2006