14.10.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Ulrich Radke


In einem Gedicht von Eugen Roth heißt es: »Ein Mensch erklärt voll Edelsinn/er gäbe notfalls alles hin. Doch eilt es ihm damit nicht sehr, denn vorerst gibt er gar nichts her.«
Ich glaube, mit der Geschichte, die wir eben gehört haben, ist es ganz ähnlich. Da kommt ein Mann zu Jesus und fragt nach dem Weg zum ewigen Leben. Man könnte auch sagen, er ist auf der Suche nach einem Sinn für sein Leben. Eigentlich seltsam, ja fast schon die Ausnahme, dass ein Mann wie er so eine Frage stellt! Er hat doch anscheinend alles, was das Leben angenehm macht, er ist ein guter Mensch und braucht sich nichts vorzuwerfen. Er braucht kein schlechtes Gewissen zu haben. Trotzdem - oder gerade deswegen - fragt er: »Was muss ich tun?«
Vielleicht steckt hinter dieser Frage auch Unsicherheit und Angst, weil damals schon die Bibelausleger und Schriftgelehrten nicht immer einer Meinung waren. Die einen forderten die strengste Befolgung auch der allerkleinsten Vorschriften, die anderen waren liberaler. Drängt sich einem da nicht die Frage auf: »Was muss ich tun?«
Jesus verweist den Mann zunächst auf die Gebote. Aber die Beachtung der Gebote ist ja eigentlich selbstverständlich, das mindeste, was ein Gläubiger, ob Jude oder Christ, zu befolgen hat. Interessant ist, dass Jesus nur Gebote nennt, die sich auf das Zusammenleben mit anderen Menschen beziehen: »Bring niemanden um, brich nicht die Ehe eines anderen, nimm ihm nichts weg, stürze ihn nicht durch eine falsche Aussage oder Verleumdung ins Unglück, beraube keinen und ehre deine Eltern!« In dieser Beziehung hat sich der Mann nichts vorzuwerfen. Auch das befolgt er von Jugend an.
Von heutigen Zeitgenossen ist oft zu hören: »Ich habe niemanden umgebracht, ich habe die Ehe nicht gebrochen, ich lüge nicht, ich nehme keinem was weg (außer vielleicht dem Finanzamt), ich geh in die Kirche, ich beichte ab und zu und geb was für die Caritas . . .
Aber reicht das schon als Eintrittskarte ins Himmelreich? Dem Mann im Evangelium reichte es offensichtlich nicht. Wir spüren das an seiner Antwort: Das tue ich ja alles schon seit meiner Kindheit. Aber was muss ich noch tun?
Er bekommt von Jesus kein Lob und zu hören, was für ein frommer und guter Mensch er doch ist. Vielmehr fasst Jesus Zuneigung zu ihm, weil er spürt, dass er ehrlich auf der Suche ist und guten Willen hat. Und Jesus stellt eine unerhörte Forderung: »Wenn du wirklich ernstlich Gott suchst, dann verkaufe alles, was du hast, gib das Geld den Armen und folge mir nach. Denn dann wirst du einen Schatz im Himmel haben.«
Damit trifft Jesus offensichtlich genau den wunden Punkt. Bei diesem Mann ist der Knackpunkt der Reichtum. Geld ist nicht alles, aber kein Geld haben ist auch nichts«, mag er sich gedacht haben. »Aber alles hergeben - das ist zu viel verlangt. Eine Zumutung ist das. Nachfolge Jesu - das habe ich mir doch ein wenig einfacher vorgestellt.«
Bei diesem Mann ist der Knackpunkt der Reichtum. Ich frage mich aber, ob der Reiche in dieser Geschichte nicht einfach als Beispiel für Menschen steht, die an ganz verschiedenen Dingen hängen und davon nicht loskommen. Und weil sie nicht loskommen, können sie sich auch nicht auf den Weg machen und Jesus nachfolgen.
Wir merken ja selbst oft, wie uns manche Dinge so sehr in Beschlag nehmen, dass wir zum Beispiel nicht mehr zuhören können, weil wir nur mit uns selbst beschäftigt sind: mit einer Idee, einem Hobby, einer Arbeit oder einem Plan.
Es geht uns vielleicht nicht so sehr ums Geld. Aber dafür hat der eine nur noch seinen Hausbau im Kopf, der nächste spart verbissen auf seinen Traumurlaub, der Jugendliche verbringt die ganze Freizeit damit, den selbstgekauften Rostkübel wieder flottzumachen, der Schüler sitzt ganze Nachmittage vor seinen Computerspielen und die Ministranten vergessen sogar das Ministrieren, weil Fußballtraining ist.
Ich könnte mir vorstellen, dass Jesus vom Gleichgültigen Interesse verlangt, vom Bequemen Mitarbeit, vom Hektiker, Zeit für andere zu haben. Ich könnte mir vorstellen, dass Jesus bei jedem von uns genauso den wunden Punkt anrühren würde wie bei dem reichen jungen Mann. Denn wir sind ebenso reich: reich an Geld, reich an Beziehungen, reich an Zeit, an Begabungen, an Erfahrung. All das dürfen wir nicht nur für uns selbst behalten wollen. Nur wenn wir es in Dienst stellen, hergeben, zur Verfügung stellen, kann das Reich Gottes wachsen und ein Schatz im Himmel entstehen.
Einen guten Sonntag, und ein schönes Pollhansfest
wünscht IhnenIhr Pfarrer Ulrich Radke

Artikel vom 14.10.2006