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Ausbeutung der Enkelgeneration einstellen

Kurt Biedenkopf fordert eine Rückkehr zur Vernunft und Verantwortung für Nachkommen

Von Matthias Band
Bad Oeynhausen (WB). Kurt Biedenkopf, ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen, war am Donnerstag zu Gast im Energie-Forum-Innovation (EFI). Dabei sprach er über die demographische Entwicklung unseres Landes und forderte eine neue gesellschaftspolitische Verantwortung in Deutschland.

Was es mit der neuen Verantwortung gegenüber unseren Nachkommen auf sich hat, erklärte Biedenkopf in einem etwa einstündigen Vortrag, der auf seinem Buch »Die Ausbeutung der Enkel - ein Plädoyer für die Rückkehr zur Vernunft« basierte.
Der 76-Jährige, der selbst zehn Enkelkinder hat, konstatierte eine »Verantwortung der Aktiven für kommende Generationen« und untermauerte seine Aussage mit den Worten eines langjährigen Wegbegleiters. Biedenkopf zitierte Arthur Frank Burns, der in den achtziger Jahren US-Botschafter in der Bundesrepublik, und nach Angaben des ehemaligen Ministerpräsident eine Persönlichkeit war, von der er selbst viel Lebenserfahrung mit auf den Weg bekommen habe: »Ein Volk, dass die Stimmen seiner Ahnen nicht hört und die Interessen seiner Nachkommen nicht achtet, hat keine Zukunft.«
Biedenkopf nahm das Auditorium mit auf einen detailreichen Marsch durch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Angefangen vom so genannten Generationenvertrag, der 1957 das Fundament der Rentenversicherung bildete, über den Pillenklick, der nicht nur durch neue Verhütungsmittel, sondern vor allem durch gewandelte Wertvorstellungen einschneidende Veränderungen in unserer Gesellschaft bewirkt habe, bis in den Gegenwart, in der die Ausgewogenheit zwischen Leistung und Gegenleistung in den sozialen Sicherungssystemen nicht mehr gegeben sei.
»Wir können so nicht weitermachen. Wir müssen unsere Nachkommen besser ausstatten«, forderte Biedenkopf. In Deutschland gebe es allein etwa 500 000 Schüler, deren Abschluss nicht ausreiche, um eine Lehrstelle zu erhalten. »Das ist eine Katastrophe für unser Land«, sagte Biedenkopf. »Und eine Verletzung des Generationenvertrags.«
Mehr in die Jugend zu investieren sei eine der dringlichsten Aufgaben der Gegenwart. Schon jetzt deuteten sich umgreifende Verschiebungen der Altersstruktur an. »Vielleicht werden 2050 90-Jährige von 60-Jährigen gepflegt«, sagte Biedenkopf.
Eine große Gefahr dabei seien die sozialen Spannungen, die sich weltweit für die Zukunft ergäben - wie zum Beispiel Fragen der Ressourcenverteilung beim Kapital. Für Deutschland wünschte sich Biedenkopf eine offene Zivilgesellschaft, in der jeder Bürger mehr Verantwortung übernimmt. Dafür müsste der Staat aber auch mehr Anreize für die Bürger schaffen.
Konkrete Lösungsvorschläge klangen jedoch nur an. Trotzdem spiegelte sich im Vortrag und in der anschließenden Diskussion die Hoffnung wider, »dass es unseren Enkeln noch Spaß macht, in Deutschland zu leben«.

Artikel vom 14.10.2006