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König prangert die Panscherei an

Keine Sonderrechte: Hans-Otto Busch räumt mit Steinhäger-Legende auf

Von Annemarie Bluhm-Weinhold
Steinhagen (WB). Das Commerzien-Edikt von 1688 - es ist vielzitierte Quelle, wenn es um Privilegien und Rechte der Steinhäger-Produzenten geht: Es verbot die Herstellung von Branntwein aus Korn auf dem platten Land und nahm nur den »Wacholderbrandwein vom Kirchspiel Steinhagen« aus. So jedenfalls ist es auf einem Schriftstück der Firma Schlichte nachzulesen. Doch das ist Legende: Historiker Hans-Otto Busch räumt mit einer Gesichtsklitterung auf.

Denn das Kirchspiel Steinhagen wird in dem Text, den Kurfürst Friedrich Wilhelm am 20. April 1688 auf dem Sterbebett seinen Sekretären in die Feder diktierte, nicht einmal erwähnt - jedenfalls nicht in Bezug auf den Branntwein. Vielmehr lautet die entsprechende Passage in der Originalfassung des Edikts, die im Staatsarchiv in Berlin liegt: »So wollen Wir, daß alles Brandweinbrennen von Korn (außer dem Wacholder Brandwein) so woll in den Städten, als auf dem platten Land eingestellet . . . werde.« Also: keine Sonderrechte für Steinhagen. Vielleicht sind sie woanders vermerkt, aber nicht im Edikt. Wann und warum es zu der Textfälschung in den Steinhagener Dokumenten kam, das weiß man nicht. Aus Wettbewerbsgründen? So jedenfalls lauten die Vermutungen von Hans-Otto Busch.
Dass der Große Kurfürst anno 1688 überhaupt gegen den Branntwein zu Felde zog, das erklärt der Realschullehrer i.R. mit der schlechten Ernährungslage in Preußen nach den großen Kriegen: »Die Felder waren in schlechtem Zustand. Das wenige Getreide wurde für Brot, aber nicht für Schnaps gebraucht.« Wacholder dagegen - deshalb vielleicht die Ausnahme von Brennverbot - war auch eine Medizin.
Gerne wird seit jeher in der Gemeinde, um die Steinhäger-Privilegien zu untermauern, auch ein zweites Edikt, 1719 vom »Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm I. von Preußen zitiert. Das soll angeblich - und zwar 1728 - das Commerzien-Edikt des Großvaters erneuern. So heißt es in den Schlichte-Unterlagen. Doch auch das stimmt nicht. Nicht nur die Jahreszahl ist falsch, sondern der Preußenkönig wirft den Steinhagenern und Brockhagenern auch noch Panscherei und Steuerhinterziehung vor. Sie würden »die Beeren mit allerhand getrayde vermischen und Unterschleife damit begehen«, verbittet sich der König weitere Verstöße »bey verlust ihrer Consession und anderen Beahndungen«. Außerdem dürfen die Privilegianten ihre Erzeugnisse - wegen der königlichen Steuern - nur in den Städten verkaufen: Auch das haben sie offenbar unterlaufen, und damit den Staat um Steuereinnahmen gebracht.
Erwähnt sei noch eine dritte Geschichtsklitterung: Die Kopie eines Erlasses des Großen Kurfürsten aus den frühen 1680-er Jahren hängt auszugshalber und unter Glas ebenfalls in den Schlichte-Räumen. Doch von Schnapbrennen ist dort nicht einmal die Rede. Auch von Steinhagen oder der Grafschaft Ravensberg nicht, sondern von Afrika. Hatte Friedrich Wilhelm doch ein Auge auf den schwarzen Kontinent geworfen und regte die Bildung von Kolonien an . . . »Es scheint seit vielen Jahren niemand mehr genauer in die Texte, die hier in Steinhagen in Umlauf sind, hineingesehen zu haben«, sagt Hans-Otto Busch. Das vermeintliche Wissen sei unbesehen weitergegeben worden - falsch eben, wie sich nun herausstellt.
Übrigens: Erwähnt wird Steinhagen im Commerzien-Edikt dann doch - und sogar mit Sonderrechten: allerdings im Bezug auf die Leinenherstellung. Da räumte der Große Kurfürst, der im Leinen den Reichtum des ärmlichen Ravensberger Landes sah (»mein liebes Spinn- und Leinenländchen«), Steinhagen und Brockhagen die Herstellung eines ganz bestimmten Tuches ein: »so schmal und sechs viertheil breit linnen«.

Artikel vom 09.10.2006