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Lohnstreit jenseits des
ersten Arbeitsmarktes

Mitarbeiterin klagt gegen Werkstatt für Behinderte

Von Stephan Rechlin
Kreis Gütersloh (WB). Die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) muss einer blinden Mitarbeiterin 700 Euro entgangenen Lohn nachzahlen, das Entgeltsystem kann jedoch bleiben wie es ist. So steht es in einem jetzt versandten Urteil des Bielefelder Arbeitsgerichtes.

Der in Teilzeit bei der »Kattenstroth Industrieservice« arbeitenden Frau war der Lohn ohne Angaben von Gründen von zunächst 270 auf 216 Euro im Monat gekürzt worden. Erst auf Nachfrage habe man ihr mitgeteilt, dass sie zu viele Krankheitstage in Anspruch genommen habe. Nachdem eine Schlichtung gescheitert war, zog die Frau vor Gericht.
Dort wurde ihre Klage abgewiesen. Allerdings steht ihr eine Nachzahlung in Höhe von 702 Euro zu, weil ihr die Gründe der Lohnkürzung nicht ordnungsgemäß und schriftlich mitgeteilt worden waren. »Künftig werden wir jedem Mitarbeiter, der es wünscht, unser Entgeltsystem ausführlich erläutern. Auf Wunsch auch schriftlich«, teilt Hermann Korfmacher, Leiter der WfbM, auf Anfrage mit.
Hinter Klage und Urteil tobt ein heftig geführter Streit zur Frage, wer in der WfbM wieviel verdienen darf. Psychisch behinderte Menschen, die unter keinen weiteren oder nur leichten Behinderungen leiden, können mehr als Mitarbeiter mit schweren geistigen Behinderungen leisten. Allen 1200 Mitarbeitern der WfbM gemeinsam ist jedoch, dass sie wegen Art und Schwere ihrer Behinderungen nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen (»ersten«) Arbeitsmarkt beschäftigt werden können.
Das im Jahre 2005 eingeführte Entgeltsystem muss also einerseits der Solidargemeinschaft gerecht werden, die auch »schwachen« Mitarbeitern ein Mindestentgelt in Höhe von 67 Euro je Monat zugesteht. Andererseits soll es den Leistungsunterschieden und -schwankungen innerhalb der Belegschaft gerecht werden. Dazu können »leistungsbezogene Steigerungen« gezahlt werden, die unter anderem nach Arbeitsmenge, Qualität der Arbeit, Zuverlässigkeit und Einsatzmöglichkeit beurteilt werden.
Gesetzlich ist die WfbM verpflichtet, mindestens 70 Prozent der von den Mitarbeitern erwirtschafteten Erlöse an die Belegschaft auszuschütten. Die Auftragslage ist so gut, dass diese Quote in den vergangenen drei Jahren bei 90 Prozent lag. Darüber hinaus ist die WfbM in der Lage, das doppelte von dem zu zahlen, was bundesweit üblich ist. »Die WfbM Gütersloh zahlt die dritthöchsten Entgelte unter 60 Werkstätten in Westfalen,« stellt Hermann Korfmacher fest. Argumente, die nicht alle überzeugen. Gegen das Arbeitsgerichtsurteil wurde Revision eingelegt.

Artikel vom 06.10.2006