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Das Wort zum Sonntag

 Von Pfarrer Werner Milstein, Rahden

Werner Milstein, Pfarrer für Sielhorst, Varl und Alt-Espelkamp.
»Unser täglich Brot gib uns heute« - so lautet die vierte Bitte des Vaterunsers. So hat es Jesus seinen Jüngern gelehrt und so sprechen wir es noch heute. Schon lange geht es nicht mehr nur um das Brot. Es geht um alles, was wir zum Leben brauchen, das für das Überleben Notwendige und auch all das, was wir für ein gutes Leben zu brauchen meinen.
Generationen von Konfirmanden wussten flugs eine Antwort auf die Frage »Was heißt denn tägliches Brot?« zu geben. Sie hatten die Antwort im Kleinen Katechismus von Martin Luther gelernt: »Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.«
Der Reformator hatte schon darauf geachtet, dass nichts fehlt - sehr zum Verdruss der Konfirmandinnen und Konfirmanden -, wir heute könnten die Liste leicht verlängern: ein hohes Wirtschaftswachstum, eine Vollbeschäftigung, eine ausgewogene Gesundheitsreform, eine gesicherte Altersversorgung ... uns fiele noch vieles ein.
Aber ist das alles mit der vierten Bitte gemeint? Zuerst und vor allem? Zuerst und vor allem geht es um das Brot, um das schlichte und einfache Brot. Zum Erntedankfest liegt es auf jedem Altar. Es ist das Grundnahrungsmittel des Menschen, durch Jahrtausende hing davon das schlichte und einfache Überleben ab.
Zerstörte eine Dürre die Getreidefelder, dann musste die Bevölkerung hungern. Solche Notzeiten haben auch unser Land in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder heimgesucht. Welcher Reichtum war für die Menschen eine gute Ernte, wenn sie die Getreidekörner durch die Finger gleiten ließen und die Säcke prall gefüllt waren! Welches Glück muss es gewesen sein, wenn sie das Brotlaib am Tisch anschnitten und verteilen konnten und sich der Duft frischgebackenen Brotes verbreitete!
Schon die Kinder wussten, wie wichtig, wie überlebensnotwendig das Brot ist, und dass es eine Gabe ist. Sie hatten den Vater das Feld pflügen und die Saat auswerfen sehen, sie haben es wachsen sehen und konnten schon selbst abschätzen, wie die Ernte werden würde, und konnten auch einschätzen, was das für sie bedeuten würde. Und sie wussten auch, von Kindesbeinen an, dass man um eine gute Ernte nur bitten konnte. Sie vertrauten Gott, sie beteten, sie dankten, sie hofften auf ihn. »Unser täglich Brot« - das ist der Garant für das Überleben, für unser Überleben auch für das der ganzen Welt. In vielen Gegenden der Erde hat die Bitte um das tägliche Brot nichts von seiner ursprünglichen Bedeutung verloren. Zum Brot gehört das Teilen ganz selbstverständlich dazu. Brot ist nie Besitz, es ist immer Gabe, ist immer Aufgabe. So ist es gemeint, zuerst und immer wieder.
Ist es Zufall, dass der Bitte um das tägliche Brot die Bitte um die Schuldvergebung folgt? Werden wir vielleicht da zuerst und immer wieder schuldig, wo es um das tägliche Brot geht? Es wird uns vergeben, wir haben eine zweite Chance, uns wird die Hand noch einmal gefüllt, wir empfangen auch in diesem Jahr unser täglich Brot. Es wird uns gegeben, damit wir es anschneiden und teilen.

Artikel vom 30.09.2006