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Wenn sich Türen schließen
Im Hövelhofer Gefängnis gibt es mehr als 220 junge Straftäter
Drogenschmuggel, Körperverletzung, Urkundenfälschung und Fahren ohne Führerschein - Sebastian (22), Antonino (22) und Sebastian (21) haben schon »viel Scheiß gebaut«, wie sie selber sagen. Dafür müssen sie nun Haftstrafen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hövelhof (Kreis Paderborn) verbüßen. Für alle ist es der erste Gefängnisaufenthalt.
»Bevor ich hierher gekommen bin, hatte ich schon Angst. Man denkt, es erwartet einen ein Knast wie im Fernsehen«, sagt der ältere Sebastian. Anfangs sei es ihm schwergefallen, sich den Regeln der Anstalt zu unterwerfen, mittlerweile könne er die gesteckten Grenzen des offenen Vollzugs jedoch gut ertragen. »Man hat nur selten den Eindruck, in einem Gefängnis zu sein, die meiste Zeit fühlt es sich eher wie eine Jugendherberge an.«
Dafür spricht vor allem die Unterbringung der jugendlichen Straftäter: Zwar gibt es in den vier Hafthäusern auch Einzelhafträume, meist teilen sich jedoch zwei oder drei junge Männer ein Zimmer, dessen Ausstattung - Holzbetten, ein Tisch, zwei Stühle und abschließbare Spinde - jeder Schüler von Klassenfahrten kennt. Einzig die mit Pin-ups gepflasterten Wände und der Geruch von kaltem Zigarettenqualm unterscheiden sich klar vom klassischen Ambiente einer Jugendherberge.
Gitter vor den Fenstern gibt es nicht, stattdessen einen Blick auf grüne Rasenflächen und Sportplätze. Nicht einmal die Justizvollzugsanstalt selbst ist richtig eingezäunt. Anstelle von hohen Mauern säumen Bäume das insgesamt 50 Hektar große Gelände. Eine Form der Freiheit, die Chancen und Risiken birgt: »Wer es drauf anlegt, kann hier schnell abhauen«, sagt JVA-Leiter Jürgen Lipki und erläutert: »Unsere Aufgabe ist es, mit den Gefangenen regelkonformes und sozialverträgliches Verhalten einzuüben, und das geht nicht, wenn die Tür 23 Stunden am Tag verschlossen ist.«
Natürlich sei nicht jeder Straftäter für diese Form des »gelockerten Vollzugs« geeignet: »Bei uns sitzen nur Jugendliche, die einsehen, Fehler gemacht zu haben und erkennbaren Willen zeigen, ihrem Leben eine neue Ausrichtung geben zu wollen«, sagt Lipki. Für die Bewertung dieser Einstellung werde neben dem Urteil und dem Bericht der Jugendämter auch die ausführliche Diagnose eines Psychologen zu Rate gezogen. »75 Prozent schaffen die Kehrtwende und kommen besser wieder raus als sie reingekommen sind. Die 25 Prozent, die versagen, sind der Tribut an das System.«
Dieses System hat den Gefangenen einiges zu bieten: Nach dem Wecken um 5.50 Uhr und anschließendem Frühstück steht von 6.45 Uhr an Schule, Ausbildung oder Arbeit auf dem Programm. Die Jugendlichen können hier Abschlüsse und Qualifikationen nachholen, die sie in ihrem bisherigen Leben versäumt haben, und sich an einen geregelten Tagesablauf gewöhnen. Die JVA unterhält auf dem Gelände verschiedene Betriebe, die Auswahl der Berufe reicht von Tischler und Maler über Maurer und Elektroniker bis zum Konstruktionsmechaniker. Wer dort nicht unterkommt, hilft in der Küche, der Wäschekammer oder sorgt dafür, dass die Hafthäuser in Schuss bleiben.
Nach Feierabend um 17 Uhr stehen verschiedene Freizeitangebote, hauptsächlich sportlicher Natur, auf dem Programm. Es gibt Fernseher und Playstation, aber auch einen Bastelbereich und ein Begegnungszentrum. Seelsorger, Pädagogen, Sozialarbeiter und ein Psychologe bieten darüber hinaus Hilfestellungen in der Sucht- und Schuldnerberatung sowie in Familienfragen an.
Obwohl zwischen Häftlingen und Betreuungsbeamten - die Bezeichnungen Schließer oder Wärter sind verpönt - ein weitgehend entspanntes Verhältnis herrscht, wird das Einhalten der Regeln im Alltag genau überwacht. Wer abhaut oder massiv gegen die Hausordnung verstößt, riskiert ein Disziplinarverfahren - eine Art Warnschuss, bei dem sich der Häftling für drei bis vier Tage den Bedingungen des geschlossenen Vollzugs unterziehen muss. »Danach kann jeder selbst entscheiden, welchen Weg er weitergehen möchte«, sagt JVA-Leiter Lipki.
Sebastian, Antonino und der jüngere Sebastian haben sich längst für den offenen Vollzug entschieden. Hier stört sie eigentlich nur der stark eingeschränkte Kontakt zu Familie und Freunden. Unter der Woche bleibt nur der Griff zum Telefon, bei guter Führung sind an zwei Wochenenden im Monat kurze Treffen oder auch mal ein kleiner »Urlaub« zu Hause erlaubt. Hart ist das vor allem für Sebastian (21), der bereits Papa ist und sein drei Jahre altes Kind so kaum aufwachsen sieht. »Erst jetzt denkt man darüber nach, wieviel Scheiß man gebaut hat und fragt sich ständig, warum man das getan hat«, sagt er. Für die Beantwortung dieser Frage bleibt ihm noch viel Zeit. Abgesessen hat er erst 18 seiner 27 Monate. Peter Monke

Artikel vom 30.09.2006