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Eine Art Wiedergeburt

Prof. Rüthing referiert in der Reihe »Focus Corvey«

Von Wolfgang Braun
Höxter (WB). Über sehr finstere Zeiten in der Geschichte des Klosters Corvey berichtete Professor Dr. Heinrich Rüthing in der Reihe »Focus Corvey» am Donnerstag.

Der emeritierte Bielefelder Wissenschaftler, der Höxter schon von seiner Bundeswehrzeit 1958 her kennt, ist unter anderem als Autor von »Höxter um 1500. Analyse einer Stadtgesellschaft« - mittlerweile ein stadtgeschichtliches Standardwerk - bekannt.
Rüthing, der es ausgezeichnet verstand, sein Publikum durch seinen mit Anekdoten gewürzten, regelrecht spannend aufbereiteten Rückblick auf die Zeit um 1500 zu fesseln, malte ein recht trauriges Bild der ehemals so stolzen und einflussreichen Reichsabtei an der Weser. »Corvey ist tiefer gefallen als Luzifer«, hatte der Hildesheimer Chronist Johannes Legatus um geschrieben. Dieser »Fall« bezog sich nicht nur auf die um 1500 - mit fünf - nur geringe Zahl von Ordensbrüdern in Corvey. 916 waren es noch 65 gewesen. Die Regeln des Ordensgründer Benedikt wurden von diesen Adeligen - Söhne anderer Stände durften nicht Mönch werden - nur wenig beachtet. Die geistlichen Herren hielten sich nicht an Keuschheitsgelübte, verpfändeten den reichen Klosterbesitz, um über die Runden zu kommen, und vernachlässigten den Gottesdienst, schilderte Rüthing den Niedergang in seinem Vortrag mit dem Thema »Erfolge und Misserfolge der Bursfelder Klosterreform im Weserraum.«
Erneuerung kam von der Bursfelder Reform, die in dem kleinen Kloster in der Nähe von Hann.-Münden der Abt Johannes Dederoth von 1433 an einleitete. Er und seine Nachfolger setzten durch, dass im klösterlichen Leben wieder der Gottesdienst absolute Vorrang hatte und dass die Mönchen ihren Gelübten folgten, arm, keusch und gehorsam zu leben. Auch hob er die Regel, dass nur Adelige Mönche werden durften, auf. Eine Reform mit Breitenwirkung: Denn viele anderen Klöster schlossen sich der sogenannten Bursfelder Kongregation an. Die umfasste 1444 nur vier, 1517 aber schon 94 Männerklöster. 1480 trat das Kloster Marienmünster dem Klosterbund bei. In Corvey gestaltete sich die Reform zunächst schwierig, die alten Mönche - vier an der Zahl - mussten abgefunden und »entlassen« werden. Aber ab 1501 traten neue Mönche in das Kloster ein. Weil das Adelsprivileg gefallen war, stieg die Zahl der Bewerber kräftig. Das geistliche und das wirtschaftliche Leben wurde unter dem Corveyer Reformabt Franz von Kettler von Grund auf erneuert. »Mit Blick auf das Ideal des religiösen Lebens, das Benedikt von Nursia im 6. Jahrhundert entworfen hatte, war diese Reformzeit wichtiger als die Prachtentfaltung unter den Fürstäbten im 17. und 18. Jahrhundert«, zog der Referent Bilanz. Seinem anregenden Vortrag folgte noch eine über einstündige Diskussion mit den Zuhörern.

Artikel vom 23.09.2006