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»Einfach die Schwelle überwinden«

Ungewöhnlicher Kursus der Diakonie kommt gut an: »Radfahren neu erlernen«

Rietberg-Neuenkirchen (WB). »Nö, das ist mir nicht peinlich. Warum sollte es auch? Andere können eben nicht schwimmen oder nicht Autofahren.« Selbstbewusst blickt Karin Hofmann in die Kamera. Sie ist eine von fünf Frauen, die einen ganz neuen Kursus der Diakonie im Familientreff Neuenkirchen belegt haben.

»Rauf aufs Rad«, ist das Seminar überschrieben - und Karin Hofmann betrachtet dieses Angebot als sehr wertvoll. Mit einem pedalfreien Laufrad übt sie unermüdlich auf dem Platz vor der Alten Volksschule. »Erst einmal ein Gefühl für die Balance entwickeln«, umschreibt Seminarleiterin Jutta Golz die Übungseinheiten mit dem Fahrgerät. Anfängerinnen und Wiedereinsteigerinnen besuchen den Kursus, an dem nur fünf oder sechs Damen teilnehmen können, um möglichst hohe Lerneffekte zu erzielen. Immer montags, um 16 Uhr, trifft man sich an der Zweigstelle der Diakonie im Rietberger Stadtteil, um eine Stunde lang unter fachkundiger Anleitung zu üben. Ist das Wetter zu schlecht, setzen sich die Damen in einen der Räume und büffeln Theorie oder versuchen sich als Mechanikerinnen im Verstellen von Sattelhöhen oder dem Einspeichen der Räder.
Die Beweggründe für die Teilnahme sind unterschiedlich. Karin Hofmann war es einfach leid. Sie stammt aus einer Gegend, in der das Radeln schon wegen der landschaftlichen Gegebenheiten nicht so selbstverständlich ist wie im platten Münsterland. Nach dem Umzug an die Ems fehlte erst die Zeit, doch jetzt endlich entdeckte sie dieses Kursusangebot. Es nervte Karin Hofmann einfach, wenn die neuen Bekannten und Freunde sich zu Radtouren verabredeten und sie nicht mitfahren konnte. Das soll ab dem nächsten Frühjahr anders werden. Bis dahin will sie dank der Unterrichtseinheiten den Umgang mit dem Drahtesel perfekt beherrschen.
Auch Arife Yilmaz ist ein Neuling, anders dagegen Ursula Schermutzki. Die Neuenkirchenerin war früher, als ihre Kinder klein waren, oft mit ihnen auf dem Rad unterwegs. »Doch die vergangenen zehn Jahre bin ich nur noch Auto gefahren, und jetzt fühle ich mich einfach zu unsicher, um gleich wieder im normalen Straßenverkehr zu starten.« Ähnlich geht es Heidi Riehle. Die gebürtige Wuppertalerin, die jetzt mit ihrem Mann in Gütersloh lebt, hatte nach langen Jahren der Pause »einfach eine psychische Schwelle.« Aber ich möchte mich durch die Bewegung auspowern können, Anspannungen lösen, und deshalb übe ich jetzt wieder. »Man kann tatsächlich über die Jahre hinweg das Radfahren verlernen«, erklärt die 62-Jährige.
Die Idee zu einem solchen Kursus stammt aus den Reihen der Damen selbst. Ursula Schermutzki habe das bei einem der monatlichen Treffen im »Klöncafé Wunderfiz« im Neuenkirchener Familientreff angeregt, berichtete Diplom-Sozialpädagogin Susanna Matt-Windel, die gemeinsam mit Marita Sieben die Außenstelle der Diakonie Gütersloh in der Alten Volksschule betreut. In Jutta Golz, die gleich um die Ecke eine Zweiradwerkstatt mit Fahrradhandel betreibt, fand sie eine kompetente Ansprechpartnerin, die auch das Wissen um das Flicken von Fahrradreifen oder das Einspeichen von Rädern weitergibt. Das Seminar ist nicht geschlossen, jederzeit können neue Interessentinnen hinzustoßen, allerdings ist die Montagsstunde, auf sechs Damen beschränkt. Wer sich für das Thema interessiert, kann sich mittwochs von 16 bis 17 Uhr oder donnerstags von 9 bis 10 Uhr unter Telefon 0 52 44 / 10 6 82 informieren. Das große Ziel aller Kursusteilnehmerinenn: »Irgendwann gemeinsam eine kleine Fahrradtour unternehmen.«

Artikel vom 22.09.2006