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»Ihr sollt Zeitzeugen werden«

Hitlerjunge Salomon: Sally Perel zu Gast in der Realschule

Versmold (igs). Der Mann mit dem schlohweißen Haarkranz und den freundlichen Augen muss nicht laut sprechen, damit 84 Zehntklässler der Realschule an seinen Lippen hängen. Das, was Sally Perel gestern erzählt, ist fesselnd genug.

Denn der 81-Jährige, der zum wiederholten Male in der CJD-Realschule liest, war »Hitlerjunge Salomon«. Die Lebensgeschichte des Juden, der gerade noch dem sicheren Exekutionstod entging und als »Jupp« in der Uniform der Hitlerjugend den Krieg überlebte, obwohl häufig genug die mit Sicherheit tödliche Enttarnung drohte, geht seit Jahren um die Welt. Und Sally Perel wird nicht müde, seine Geschichte wieder und wieder zu erzählen, zu erinnern und zu warnen. »Wir sind die letzten Zeitzeugen«, sagt Perel. »Wenn wir nicht mehr sind, sollt ihr die Zeitzeugen werden, damit auch die nächsten Generationen davon berichten können.«
Die Schüler, die die Verfilmung des Buches gesehen haben und im Geschichtsunterricht gerade am Anfang des Nationalsozialismus stehen, haben viele Fragen an den 81-Jährigen: Warum ist er trotz all dem, was er erlebt hat, so freundlich geblieben? »Ich hasse Hass. Denn ich habe gesehen, welche Folgen Hass hat«, betont Sally Perel. Er habe auch keine Probleme, nach Deutschland zu kommen. »Deutschland ist mein Mutterland, Israel mein Vaterland.«
Das größte Verbrechen der Nazis an der deutschen Jugend sei gewesen, deren Vaterlandsliebe zu missbrauchen. »Damals war die Jugend sehr militaristisch, liebte Uniformen«, erklärt Perel. Dies hätten die Nazis ausgenutzt. Sein Appell an die jungen Zuhörer: kritisch sein und selbstständig denken. »Dass ist die sicherste Vorbeugung, dass es den Neonazis nicht gelingt, die gesamte deutsche Jugend mitzureißen.« Mit extremen Randgruppen müsse man nun einmal leider leben.
Wenn heute junge Leute nach einer Lesung zu ihm kommen und sich entschuldigen, gebe er ihnen eines mit auf den Weg: »Ich verzeihe nicht, weil ich der deutschen Jugend nichts zu verzeihen habe. Schuld erbt man nicht. Doch ihr dürft nicht zulassen, dass ganz Deutschland marschiert!«
Genau wissen wollen die Schüler auch, wie die Liebesgeschichte, die auch im Film eine Rolle spielt, ausgegangen war. »Leni«, seine Jugendliebe, lebe inzwischen in Vancouver und sei eine »wunderhübsche Oma«, berichtet Sally Perel lächelnd. Er hoffe, sie nach langer Zeit im nächsten Jahr wiederzusehen. Auf ein Wiedersehen hoffen derweil auch die Realschüler: Die neunten Klassen warten schon auf Perels Besuch im kommenden Jahr.

Artikel vom 20.09.2006