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Herz wirklich füreinander geöffnet

Gedenkfeier am Jahrestag des Explosionsunglücks im Historischen Rathaus Höxter

Von Frank Spiegel
Höxter (WB). Tief bewegt gedachte Höxter gestern Abend der Opfer, die bei dem Explosionsunglück vor einem Jahr ums Leben kamen, verletzt wurden oder auch materiellen Schaden erlitten. Pfarrer Rainer Schreiner und Dechant Andreas Kurte gestalteten den ökumenischen Gottesdienst in der Markthalle des Historischen Rathauses.

»Es waren Erschütterungen bis in unsere Seele hinein, die bei vielen tiefe Wunden hinterlassen haben und die bis heute nachwirken«, sagte Pfarrer Rainer Schreiner in seiner Predigt. Neben materiellen Werten seien durch die Tat Günther Hartmanns vor allem ideelle Werte unwiederbringlich verloren gegangen: »Manche äußere Narben sind inzwischen verheilt, aber tief in unserem Inneren bleibt etwas zurück, was nie ganz verheilen wird, was unsere Stadt nie wieder die sein lässt, die sie am Tag vor der Explosion gewesen ist.« Neben der Erschütterung, die angesichts des Unglücks zu spüren sei, gebe es aber noch eine andere Erfahrung aus den Tagen im September des vergangenen Jahres, »die ebenfalls ihren Platz in unseren Herzen und Seelen behalten wird«: »Wir haben eine nie dagewesene Welle an Hilfsbereitschaft und Solidarität erlebt.« Und es seien nicht nur die Spenden, die auf den Sonderkonten eingegangen seien.
Pfarrer Rainer Schreiner erinnerte auch an die zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hilfsorganisationen und die Notfallseelsorger. Der Pfarrer: »Mehr noch: Die Menschen in unserer Stadt sind näher zusammen gerückt, Menschen haben sich gegenseitig Hilfe angeboten, haben versucht sich gegenseitig zu trösten und aufzufangen.« Sicher sei inzwischen vieles wieder abgeebbt, manches sei aber geblieben: »Vor allem die Erinnerung daran, was alles möglich ist, wenn Menschen ihr Herz wirklich füreinander öffnen.«
Doch bei der Erinnerung dürfe es nicht bleiben. Mit ihr im Herzen sollten alle gemeinsam die Zukunft Höxters immer wieder neu gestalten und sich nicht auf die »üblichen Sonntagsreden und wohlmeinenden Appelle« zu beschränken. »Dann hätten wir aus dieser Katastrophe, die wir vor einem Jahr erlebt haben, zumindest etwas gelernt.«
»Es war uns nicht nur eine Verpflichtung gegenüber unseren Vorvätern, die dieses Rathaus erbaut haben, sondern eine Verpflichtung gegenüber uns allen, die Folgen der Explosion zu beseitigen und zumindest äußerlich wieder zur Normalität zurückzukehren«, sagte Bürgermeister Hermann Hecker in seiner Ansprache. Er stellte die Frage in den Raum, ob das Unglück hätte verhindert werden können. Hecker: »Ich meine: Niemand konnte diese Wahnsinnstat voraussehen, niemand konnte sie daher auch verhindern.« Die schreckliche Schadensbilanz von drei Toten, mehr als 50 Verletzten, 70 in Mitleidenschaft gezogenen Häusern, 27 demolierten Fahrzeugen und mehr als 7 Millionen Euro Gesamtschaden hätte noch schlimmer sein können: »Undenkbar was geschehen wäre bei Auslösung der Explosion kurz vor Schulbeginn - oder später bei stärkerer Frequentierung der Straße und vollem Geschäftsbetrieb in den Geschäftslokalen mit berstenden Fenstern.«
Es sei aber auch an der Zeit, nach vorne zu schauen. »Ich wünsche mir heute vor allen Dingen, dass die Verletzten wieder ein normales Leben führen und schmerzfrei in die Zukunft blicken können«, so der Bürgermeister.
Gemeinsam mit dem Heimat- und Verkehrsverein pflanzte Bürgermeister Hermann Hecker einen Kugelahorn auf dem Grundstück Henze. »Er steht symbolisch für neues Leben«, erläuterte er.
Der Künstler Tobias Koch, übergab im Rathaus eine Skulptur, die an die Explosion erinnern, gleichzeitig aber auch den Blick in die Zukunft lenken soll. WESTFALEN-BLATT-Redakteur Harald Iding bezeichnete die Skulptur mit dem Titel »Eigendynamik« in seiner Ansprache als »weiteres, wichtiges Zeichen der Verbundenheit mit den Opfern, das uns und den nachfolgenden Generationen den Blick zurück auf den 19. September 2005 erleichtern wird«.

Artikel vom 20.09.2006