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»Man kann es akzeptieren, aber nicht verstehen«

Der Schmerz sitzt tief: Christel Mevers (81) kam bei der Explosions-Katastrophe ums Leben

Von Ingo Schmitz
Höxter/Holzminden (WB). Die Schwestern Christel Mevers und Herta Brandt sind ein Leben lang durch Dick und Dünn gegangen. An dem Morgen der Katastrophe war Christel Mevers jedoch allein unterwegs. Die 81-Jährige aus Holzminden wollte in Höxter zum Handchirurgen. Auf dem Weg dorthin wurde sie durch die Explosion getötet.

»Ich habe immer das Bild meiner Schwester vor Augen. Wir haben viel zusammen erlebt. Die Gedanken an die Katastrophe sind schwere Erinnerungen. Besonders schlimm ist es, wenn ich allein bin«, erklärt Herta Brandt (83), deren Schmerz sehr tief sitzt.
Gemeinsam waren Christel Mevers und Herta Brandt nach dem Krieg aus Königsberg geflüchtet. Seit 1946 lebten sie in Holzminden. Christel Mevers arbeitete mehr als 30 Jahre bei der Firma Stiebel Eltron als Abteilungsleiterin im Einkauf. Im Jahr 2000 verlor sie dann ihren Mann. »Wir haben in unserem Leben viel zusammen unternommen, sind auch zusammen in den Urlaub gefahren«, berichtet Herta Brandt.
Ihr Sohn und seine Familie waren die ersten, die die Todesnachricht erhielten. Burckhardt Brandt: »Man hatte mich bei der Arbeit angerufen. Ich sollte sofort nach Hause kommen. Ich dachte, es wäre etwas bei den Renovierungsarbeiten in unserem Haus passiert. Als ich dort ankam, saßen vier fremde Menschen in unserer Wohnung - zwei Polizisten und zwei Notfallseelsorger, wie sich später herausstellte. Ein Kripobeamter sprach von einem Unglück und dass er eine traurige Mitteilung überbringen müsse. Die Nachricht vom Tod meiner Tante hat mich geschockt. Sie traf mich aus heiterem Himmel. Ich wusste gar nicht, dass sie nach Höxter wollte.«
Während ein Seelsorger Herta Brandt über den Tod der Schwester informierte, sollte Burckhard Brandt eine schwere Aufgabe übernehmen und die Leiche seiner Tante identifizieren. »Man hatte uns davon abgeraten, sie uns noch einmal anzuschauen, damit wir sie so in Erinnerung behalten, wie sie war. Zum Glück ist mir die Identifizierung erspart geblieben, man konnte sie anhand einer Operationsnarbe eindeutig erkennen«, berichtet der Holzmindener.
Dankbar sind er und seine Frau Regina sowie Herta Brandt über die Gespräche mit den Notfallseelsorgern Klaus Herbrand und Sonja Daldrup sowie der Stadt Höxter, die sich mit einem Schreiben und telefonisch an die Hinterbliebenen gewandt hatte. Die Seelsorger und auch die Stadt boten ihre Hilfe an. Die Spende, die Familie Brandt erhielt, gab sie weiter an die Notfallseelsorger, die das Geld für ihre Arbeit verwenden wollen - zum Beispiel um kleine Trostspender für Kinder zu kaufen.
Herta Brandt wird heute an der Gedenkfeier mit ihrer Familie teilnehmen. Für sie, ihre Schwiegertochter Regina und ihren Sohn Burckhard ist es das erste Mal nach der Tat, dass sie den Ort des Geschehens besuchen. »Ich sehe oft nach dem Grab meiner Schwester und spreche mit ihr. Ich habe mich aber bislang nicht überwinden können, nach Höxter zu fahren«, sagt Herta Brandt und ihr Sohn betont: »Man muss akzeptieren, was passiert ist. Verstehen kann man es aber nicht.«

Artikel vom 19.09.2006