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Von Manfred Stienecke

Paderborner
Perspektiven

Warten auf die Unterschrift


Die Paderborner gehen gern ins Theater. Gut eine Woche ist es erst her, dass sich in den Westfälischen Kammerspielen der Vorhang zur neuen Saison gehoben hat - und schon sind die Karten für die Auftakt-Inszenierung, die bis Ende September auf dem Spielplan steht, so gut wie weg. Noch bevor die Premieren-Kritiken zu Brechts »Kaukasischem Kreidekreis« zu lesen waren, hatten sich die »ausgehungerten« Theatergänger ihre Plätze gesichert. Wer jetzt noch sucht, wird nur im Restkontingent etwas finden - wenn überhaupt.
So erfreulich die gute Auslastung der Kammerspiele für die Intendanz, aber auch für Stadt und Kreis als Haupt-Zuschussgeber ist, so deutlich machen die Zahlen auch, dass sich das ostwestfälische Oberzentrum mit seinem kleinen Theater eigentlich viel zu sehr hinter der kulturellen Ausstattung ähnlich großer Kommunen versteckt. Von Oldenburg über Detmold bis Weimar, von Trier über Baden-Baden bis Bayreuth reicht die Silhouette der 100 000-Einwohner-Städte, die über wesentlich hellere kulturelle Leuchttürme verfügen als die Paderstadt. Den Kammerspielen bleibt da nur das wenig schmeichelhafte Profil, eine zwar fleißige und bisweilen auch überregional wahrgenommene, dabei aber landesweit nur die »kleinste Bühne mit Stadttheaterfunktion« zu sein.
Umso wichtiger wird es auch für die Attraktivität der Schul- und Universitätsstadt, dass das längst beschlossene Projekt eines Theaterneubaus in Angriff genommen wird. Bis zum Ende dieses Monats dauern noch die archäologischen Rettungsgrabungen auf dem Gelände am Kötterhagen, dann könnte die Volksbank eigentlich mit dem Neubau ihrer Bankzentrale mit Geschäften und dem jetzt integrierten Theaterhaus beginnen - wenn da nicht die noch fehlende Unterschrift der Stadt unter das gemeinsame Projekt wäre. Ohne die Paraphe des Bürgermeisters, so Heinz Peterburs als Planungsbeauftragter der Volksbank, wird kein Kran am Kötterhagen aufgestellt.
Die Hintergründe des komplizierten Vertragsentwurfs, der auch von den Wettbewerbshütern in Brüssel mit Argusaugen geprüft wird, sind hinlänglich bekannt. Da es sich bei dem Theater um ein öffentlich genutztes Gebäude handelt, müssten die Gewerke eigentlich europaweit ausgeschrieben werden - was die Volksbank als Eigentümerin des Grundstücks nicht möchte. Sie will berechtigter Weise bei der Großinvestition von gut 40 Millionen Euro vorwiegend das heimische Handwerk zum Zuge kommen lassen. Das bei ihr angelegte Geld soll im Lande bleiben.
Auf Seiten der Stadt hat man sich daher entschlossen, das von der Volksbank zu errichtende Theaterhaus für mindestens fünfzig Jahre anzumieten - mit der Option auf eine Verlängerung. Das Nutzungsentgelt zahlen die Theaterträger (Stadt und Kreis) im Voraus - dazu kommt eine jährlich anfallende anteilige Grundstücksmiete. Diese Nutzer-Konstruktion wird von der Freien Bürgerinitiative Paderborn seit zwei Jahren massiv und hartnäckig bekämpft. Die FBI ist es gewesen, die die Stadt bei der Europäischen Kommission in Brüssel angeschwärzt hat, nachdem ein von ihr initiiertes Bürgerbegehren gegen das Projekt gescheitert war. Und ihre Protagonisten sind weiter entschlossen, die Theaterpläne am Kötterhagen zum Einsturz zu bringen.
Die Paderborner Theaterfreunde müssen sich derweil mit den Gegebenheiten eines Ende der achtziger Jahre bezogenen, klimatisch wie technisch unzureichenden und längst zu klein gewordenen Schauspielhauses begnügen. Sie tun es mit erstaunlichem Langmut und bewundernswerter Leidensfähigkeit Ê- was nicht zuletzt für die erfolgreiche Arbeit des kleinen Theaterensembles spricht. Drei Viertel aller für jede Inszenierung zur Verfügung stehenden Plätze in den Kammerspielen sind mittlerweile durch feste Abonnements gebucht. Nur ein Viertel des Platzangebotes geht in den freien Verkauf. Mit dem neuen Haus am Kötterhagen könnten die Kammerspiele ihr Kontingent erheblich erweitern. Statt 220 Plätzen pro Aufführung sollen dann 400 Plätze zur Verfügung stehen. Und wie es scheint, ließen auch die sich allabendlich füllen.
Während die Archäologen in der Baugrube Kötterhagen nach Spuren aus dem Mittelalter gesucht haben, hatten die Juristen im Stadthaus ein halbes Jahr Zeit, den Nutzer-Vertrag mit der Volksbank »wasserdicht« zu bekommen. Wenn das gelungen ist, sollte Bürgermeister Heinz Paus mit seiner Unterschrift nicht mehr zögern. Nur dann wäre es noch möglich, die Theater-Spielzeit 2008 vielleicht doch noch im neuen Haus zu eröffnen und Mitarbeitern wie Besuchern der Kammerspiele manch unzeitgemäße Improvisation zu ersparen.

Artikel vom 16.09.2006