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In »Absurdistan« begegnet Kaiser
Heinrich IV. Radprofi Jan Ullrich

Ein kabarattistischer Höhepunkt des Paderborner Zeltsommers

Von Rainer Maler
(Text und Foto)
Paderborn (WV). Eine Farce um den Bußgang von Heinrich IV. auf die Burg Canossa wurde zu einem vergnüglichen Spaziergang durch die Zeitgeschichte und setzte einen von zahlreichen kabarettistischen Höhepunkten im Paderborner Zeltsommer.

Jan Gerrit Strack, Kerstin Panhorst und Johannes Hellmund ließen in wechselnden Dialog die Reise des reuigen Büßers Heinrich zu einer Begegnung mit Popstars, Pay TV und weiteren Figuren der jüngsten Geschichte werden. Zu historischen Fakten um den Ca-nossa-König und andere Haudegen im Gebiet des Mont Cenis hatte das Trio ein kunterbuntes Stück geschrieben, dessen Episoden aus dem Reich »Absurdistan« im Wechselspiel von Dialogen und Liedern die Zuschauer herrlich lachen ließen.
Zu Alfred Biolek und Homer Simpson luden sie den durch die Zeitgeschichte irrenden König ins Kochstudio ein. Kerstin Panhorst rührte in imaginären Töpfen und richtete mit Jan Gerrit Strack ein geistreiches Menü an, das mit Wortwitz und klugen Dialogen fast jede Geistesgröße aus Literatur und Klatschspalten ins Gerede brachte. Radprofi Jan Ullrich traf mit seinem Telecom-Team am Berg von Canossa auf den armen König und seine Frau Mama, um sie aus dem Refugium verbitterter Jungfrauen zu entführen. Man zeigte den Sachsen, wo der Broiler hängt, und der gute Hildebrand, später als Papst Gregor in die Geschichte eingegangen, zischte sich ein Kölsch und begab sich erst einmal in die Hände von Barbara Streisands Maskenbildner. Was nach Beliebigkeit und Sammelsurium klingt, war eine klug durchdachte Reise a la Dantes »Göttliche Komödie«.
Wunderbar schrill wechselte Kerstin Panhorst die Rollen. Von Jungfrau Agnes über Rockröhre Patti Smith und Beatles Ikone Joko Ono zur im Bett verbrannten Schriftstellerin Ingeborg Bachmann wurde hier die Kultur zu einem Ort der Heimatlosigkeit, in der die Sprache keinen Halt mehr vermittelte, bis, ja bis Hera Lind«s »Superweib« alle erlöste. Jan Gerrit Strack erhob das Krankheitsbild Multiple Persönlichkeit zur Therapie gegen Einsamkeit, schließlich bleibt man so immer im Gespräch mit sich. Im Dialog mit Johannes Hellmund in der Rolle des armen Heinrich entlarvte er Weltgeschehen als lächerliches Schmierentheater. Musikalisch ergänzt wurde das Trio durch die Sängerin Stefanie Hermening, den Sänger Marvin Straker und den Gitarristen Sebastian Vogel, die Lieder im Stil von Radiohead und anderen EinsLive-Größen interpretierten. Man fragte sich zuerst, was die Lieder mit König Heinrich zu tun haben mochten, aber die stimmlich ausgezeichneten Interpretationen setzten jeweils zum richtigen Zeitpunkt in den Dialogen einen Kontrapunkt, so dass die Texte nie ermüdend wurden und mit der Musik zu einer sehenswerten künstlerischen Komposition verschmolzen, kurz, eine tolle Zeitreise.

Artikel vom 18.09.2006