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Hille in Kunstdiskussion eingebunden

Tagung im Nieheimer Weberhaus -ÊForschungsstellen präsentierten ihre Projekte

Von Wolfgang Braun
Nieheim (WB). Hille und die Kunst seiner Zeit war ein Aspekt der Hille-Tagung im Nieheimer Weberhaus. Darüber hinaus waren Projekte der Hille-Forschungsstelle und seine zwei kleine Romane des 1854 in Erwitzen geborenen und 1904 in Berlin gestorbenen Dichters Thema der zweitägigen Tagung.

Wie stark Hille in der Kunstdiskussion der Umbruchs-Zeit um 1900 eigebunden war, zeigten Vorträge von Professor Dr. Gerd Bauer, Paderborn, und des Vorsitzenden der Hille-Gesellschaft , Dr. Michael Kienecker.
Bauer ließ die Entwicklung französischer und deutscher Malerei von Manet und Menzel bis zum Expressionismus Revue passieren und weckte ein Bewusstsein dafür, dass es in erster Linie die Veränderungen einer Szene durch den ganz spezifischen Lichteinfall waren, die die Künstler fesselten.
Kienecker trug den Zuhörern Passagen eines Essays des Dichters aus dem Jahre 1894 mit dem Titel »Darstellender Kunst Vergeistigung« vor, den sein Vorgänger Helmut Birkelbach in den Hille-Blättern des Jahres 1995 publiziert hatte. Insbesondere am Beispiel des von Hille sehr geschätzten - aber bei Kaiser Wilhelm II. sehr verhassten - Künstlers Walter Leistikow machte Kienecker nachvollziehbar, wie stark sich Hille für die avantgardistischen Künstler seiner Zeit einsetzte. Kienecker kristallisierte aus diesem Essay eine »aestetica in nuce« eine »Ästhetik in der Nussschale« Hilles heraus, die das Heroische, die Ausdrucks- und Inhaltswichtigkeit und das Dramatische eines Gemäldes ebenso in den Vordergrund stellt wie das Mystische.
»Das ist aber nicht in erster Linie konfessionell zu verstehen, sondern meint den Zug ins Geistige, ins Unendliche und Ozeanische«, betonte Kienecker. Dieses »Unendliche« komme in Bildern von Böcklin oder Leistikow, diesem »Chopin der Landschaft«, beispielhaft zur Geltung. Hille wendet sich in diesem Essay nicht nur gegen eine Kunst »dekorativer Oberflächlichkeit«, sondern auch gegen eine »graue Mitleidskunst« (etwa des Naturalismus, dessen Parteigänger er zuvor noch war) und besteht auf Vitalismus, Gemütsanmut und Schönheit. An Edvard Munch, den er persönlich kannte, lobt Hille - wie er schreibt - den »physiologischen Wahnwitz der Empfindungen des Gespenstigen«und steht damit schon ganz in der Moderne.
In einem Workshop zeigte die in Düsseldorf lebende Künstlerin Theresia Schüllner, wie sie Handschrift Hilles in eigenständige Kunstwerke verarbeitet und leitete die Teilnehmer zu eigenen Siebdrucken an. Mit einer von Studierenden des Fachbereichs Musik der Uni Paderborn gestalteten musikalischen Soiree unter dem Motto »Wien - Paris - Berlin: Musik in drei Metropolen um 1900« und unter der Leitung von Hans Hermann Jansen wurde das Thema des Vormittags im Medium der Musik wieder aufgegriffen.
Über Projekte der Hille-Forschungsstelle der Universität Paderborn berichtete Dr. Cornelia Ilbrig. Sie ging auf den Stand der Arbeiten an der an der Chronologie orientierten Neuausgabe der zu Lebzeiten von Hille erschienenen Werke (das WESTFALEN-BLATT berichtete) ein. Sie werden im Herbst auf den Markt kommen. Im Herbst wird auch ihre Sammlung »Peter Hille im Urteil seiner Zeitgenossen und Kritiker« veröffentlicht. Die frisch promovierte Germanistin trug als Kostproben unter anderem eine Erzählung des Hammer Schriftstellers Heinrich Luhmann aus dem Jahre 1940 vor, in der die apostelhafte, heiligenmäßige Gestalt des Dichters wieder lebendig wird und in einem Gewitter ein Kind tröstet.
Schön ist auch ein Lied von Wolf Biermann, der den »Boheme-Poeten« Hille »mit Karl-Marx-Bart und Nickelbrille« am Müggelsee in Berlin-Friedrichshagen trifft: »Der wahre Poet überlebt durchs weggeworfene Gedicht, das nicht in Büchersärgen steht«, ist Biermanns Hoffnung.
Durchs »Ungeheure« - ganz im Sinne Nietzsches - ist Hilles kleiner Roman »Semirimis«, eine Auftragsarbeit von 1901, inspiriert, wie Dr. Iris Hermann, Bielefeld, aufzeigte. Diese Femme fatal aus dem antiken Babylon, die ihre Liebhaber nach der Liebesnacht enthauptet, gibt die Folie ab für einen Roman der Identitätssuche. Verblüffende Erzähltechniken wendet Hille in seinem Roman »Cleopatra« an, in dem er die ägyptische Königin sich mit dem römischen Feldherrn Antonius als derb-komisches Pärchen aus dem Volk in einer Schenke vergnügen lässt.
Professor Wolfgang Bunzel stellte abschließend die von ihm herausgegebenen und kommentierten Lebenserinnerungen von Heinrich und Julius Hart vor, ein im Literaturleben Berlins um 1900 sehr einflussreiches Brüderpaar aus Westfalen, das eng mit Hille zusammengearbeitet und auch -gelebt hatte.

Artikel vom 14.09.2006