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»Wunderlich zu sein ist nicht strafbar«

Claus-Werner Ahaus berichtet über Günther Hartmann

Von Ingo Schmitz
Höxter (WB). Günther Hartmann war ein schwieriger Zeitgenosse. Hätte man ahnen können, was für einen perfiden Plan er schmiedete? Hätte die Explosion vom 19. September 2005 verhindert werden können? Auf diese Fragen versucht Claus-Werner Ahaus, der den Höxteraner von Kindesbeinen an kannte, in der dritten Folge der WESTFALEN-BLATT-Serie eine Antwort zu geben.

»Günther Hartmann war still, verschlossen, introvertiert und unauffällig. Er hat sich in seiner Wohnung vergraben, ist mal zur Bank oder zu seinem Rechtsanwalt oder zum Einkaufen gegangen. Stets schlurfte er in alten Hosen durch die Gegend. Er war ein Sonderling, Einzelgänger und wunderlich. Aber: Das ist nicht strafbar!«
Claus-Werner Ahaus ist Diplom-Sozialarbeiter und Bewährungshelfer. Als Nachbar hat der 61-Jährige durch die Explosion großen Schaden erlitten. An seinen Häusern Am Rathaus 1, 3 und 5 wurden durch die Druckwelle unter anderem 47 Fenster, drei Dächer, 14 Türen und zwölf Decken zerstört sowie Mauern eingedrückt. 34 Gefache des im Jahre 1612 erbauten Fachwerkhauses mit der Nummer 5 mussten ausgetauscht werden. Weniger Reparaturen fielen an den Stahlbeton-Bauten 1 und 3 an. Architektin Marlies Hemesoth beziffert den Schaden an den drei Ahaus-Häusern auf 330 000 Euro.
Wochenlang lebte Claus-Werner Ahaus mit seiner Frau Marie-Luise in der zum Teil zerstörten Wohnung. Inzwischen sind die Spuren beseitigt -Ênur noch im Arbeitszimmer erinnert ein kleiner Riss an die Detonation. Der 61-Jährige hat sich schon häufiger mit der Frage beschäftigt, ob die Wahnsinnstat des Günther Hartmann vorhersehbar war. Der Höxteraner, der die Familiengeschichte der langjährigen Nachbarn sehr gut kennt, sagt: »Nein!«
Ahaus wirft einen Blick in die Historie: »Seit mehr als 100 Jahren waren die Hartmanns in Höxter ansässig.« Ludwig, der Vater von Günther und Wilfried, führte in dem Haus zusammen mit seinem Bruder Hermann erst eine Böttcherei und später eine Apfelmosterei. Hier befand sich auch die Höxteraner Feuermeldezentrale, da Günthers Onkel Hermann als Stadtbrandmeister fungierte. »Mit Günther Hartmann habe ich als Kind in der Mosterei gespielt oder wir sind ums Rathaus gerannt. Doch im Laufe unseres Lebens haben wir uns aus den Augen verloren. Obwohl wir Nachbarn waren, hatten wir keine Berührungspunkte. Wir haben uns gegrüßt -Êmehr nicht.«
Dass es zwischen Günther in Höxter und dem in Königstein lebenden Wilfried seit dem Tod ihrer Mutter Irma stets Streit um das Haus gab, war bekannt. Ahaus: »Die Mutter hatte zwischen den Brüdern vermittelt. Nach ihrem Tod 1999 eskalierte die Situation.« Wilfried habe eine Erbauseinandersetzung herbeiführen wollen. Günther habe aber alles getan, um das zu verhindern. Ahaus: »Er setzte nicht nur juristische Mittel ein. Er versuchte die Mieter los zu werden, damit es keine Einnahmen mehr gab. Er drehte ihnen den Strom ab und machte absichtlich Lärm, um die Bewohner zu terrorisieren.«
Trotz dieses Verhaltens ist Claus-Werner Ahaus sicher, dass die mutwillig herbei geführte Katastrophe nicht hätte verhindert werden können: »Günther lebte sehr zurückgezogen. Es gab nie ein Anzeichen dafür, dass er hätte Kontakt haben wollen. Es gab aber auch nie Anzeichen mir gegenüber, dass er abnorm reagierte. Es ist ja auch völlig unrealistisch, dass man unter solchen Umständen bei ihm klingelt und fragt: ÝGeht es Dir gut, oder hast Du Probleme?Ü Es gibt genug Sonderlinge auf der Welt. Als Sozialarbeiter habe ich häufiger mit solchen zu tun. Dennoch gehe ich nicht davon aus, dass die ein Haus in die Luft sprengen.«
Ahaus schätzt Günther Hartmann als sehr intelligent ein. »Er hat alles sehr genau und langfristig geplant, um seinen Bruder Wilfried zu schädigen. Das hat er geschafft. Ich glaube aber nicht, dass er sich das Ausmaß hat vorstellen können.«
In Folge vier der WESTFALEN-BLATT-Serie »Die Explosion Éein Jahr danach« am Donnerstag, 14. September, berichten Notfallseelsorger Dieter Maletz und Diplom-Psychologe Uwe Pohlmann über ihren Einsatz bei der Katastrophe.

Artikel vom 12.09.2006