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Von Karl Pickhardt

Paderborner
Perspektiven

Kein Rasenmäher im Krankenhaus


Diese Zahlen machen schwindelig. Wenn allein schon die Paderborner Krankenhäuser Johannisstift, Vincenz und Brüderkrankenhaus mit ihren verbündeten Häusern St. Josef in Salzkotten und St. Marien in Marsberg mehr als acht Millionen Jahresdefizit als Auswirkung drohender Einschnitte aus der bevorstehenden Gesundheitsreform ins Feld führen, müssen alle Alarmglocken schrillen. Die Folgen dieses Finanzdesasters haben letztendlich wir als Patienten zu ertragen. Das qualitative Angebot in Krankenhäusern wird sich verschlechtern: Betten auf den Fluren, längere Wartezeiten wie in England auf Operationen und gestresstes weil minimiertes Pflegepersonal.
Unsere Bundesregierung plant offenbar eine Radikalkur nach dem Gießkannenprinzip: Ohne Berücksichtigung lokaler Strukturen werden alle Krankenhäuser gleichermaßen rasiert - egal ob im Rheinland, im Ruhrgebiet oder halt im Paderborner Land.
Paderborner Krankenhäuser haben bereits begonnen, ihren Teil zur Kostensenkung beizutragen. Beispiel Brüderkrankenhaus und Vincenz: Die beiden einst rivalisierenden Ordens-Krankenhäuser überraschten vor knapp einem Jahr im Oktober mit der Aufkündigung des gegenseitigen medizinischen Wettrüstens. Im Klartext: Jedes Haus im Umfeld eines Steinwurfes muss nicht alles anbieten. Schon heute ist das Brüderkrankenhaus in der Husener Straße auf Orthopädie, Urologie, Strahlenheilkunde und Gastrologie spezialisiert, während das Vincenz-Krankenhaus führend in der Kardiologie, Neurologie, Gynäkologie, Geburtshilfe oder Kinderheilkunde ist. Beide Häuser mit insgesamt 1237 Betten in Paderborn, Salzkotten und Marsberg bauen derzeit für rund eine Million Euro auf dem Boden des Brüderkrankenhauses ein gemeinsames Zentrallabor, das Ende dieses Jahres seinen Dienst aufnehmen soll. So werden Leistungen aufeinander abgestimmt, Kräfte auf Spezialgebiete gebündelt und Kosten gesenkt.
In den nächsten 14 Jahren soll unser Landkreis um weitere 30 000 Einwohner auf dann 330 000 Bürgerinnen und Bürger anwachsen, denn Paderborn bleibt Wachstumsregion. Experten haben ausgerechnet, dass entsprechend der Alterspyramide mit steigendem Risiko auf vermehrte Krankenhausaufenthalte zu den heute jährlich 67 000 Patienten bis 2020 weitere 12 000 Patienten hinzukommen könnten. Da mag sich jeder ausmalen, wie es in unseren Krankenhäusern aussehen könnte.
Die medizinische Versorgung des Kreises Paderborn ist angemessen. Überkapazitäten bestehen beileibe nicht. Im Gegenteil: Geschäftsführer Sven Freytag vom Johannisstift sieht für Paderborn gar eine leichte Unterversorgung.
So ist die von der Politik geplante Rasenmäherpolitik für Paderborn ungerecht. In der heimischen Krankenhauslandschaft sind die Hausaufgaben längst gemacht oder auf den Weg gebracht. Sicherlich lassen sich durch Neu- und Umorganisationen hier und dort noch Einsparungen erzielen. Aber Paderborner Krankenhäuser leisten in der Kostensenkung schon heute mehr als andere Regionen in NRW.
Die Kostenexplosionen liegen außerhalb des Gesundheitsstandortes Paderborn: In Nordrhein-Westfalen kommen auf eine Million Einwohner 21 Kliniken. In den Niederlanden mit vergleichbarer Größenordnung und einem guten Gesundheitsdienst »teilen« sich eine Million Einwohner lediglich siebeneinhalb Kliniken. Wo sind denn da die Überkapazitäten? Die Politik ist gut beraten, Leistungsbarometer einmal genauer anzulegen und nach Resultaten zu entscheiden. Eine Gesundheitsreform als »Hauruck-Methode« ist alles andere als eine intelligente Lösung. Sie belohnt die Säumigen von gestern und straft Sparer. Aber so neu ist das ja auch nicht.
Gesundheitspolitik als Dienst am Menschen scheint zunehmend ins Hintertreffen zu geraten. Der Patient als Kostenfaktor: Ganz schön dünn für eine angebliche Wohlstandsgesellschaft.

Artikel vom 09.09.2006