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»Mit sanfter Gewalt vom
Kohlenpott an die Weser«

Die Rede von Helmut Urbschat in gedruckter Form

Vlotho (VZ). Am Donnerstag wurde der Vlothoer Helmut Urbschat mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet (die VZ berichtete). Die Rede, die er vor Genossen, Weggefährten, Verwandten, Freunden und seiner Familie hielt, spannt einen Bogen von Helmut Schmidt, dem römischen Dichter Horaz bis hin zu Peter Ausländer. Die VLOTHOER ZEITUNG druckt sie in leicht gekürzter Form.

»Gerne spreche ich zu euch in diesem Sitzungssaal, wo ich in knapp 20 Ratsjahren oft das Wort ergriffen habe. Käme ich aus Bremen wie Don Pedro, wäre alles ganz einfach. Ein Hanseat wie mein Namensvetter Helmut Schmidt nimmt keinen Orden an. Für ihn trägt der Dienst an der Gemeinschaft seinen Lohn in sich selbst.
Aber ich bin kein Hanseat, sondern ein Wahl-Vlothoer. Genau genommen habe nicht ich Vlotho ausgewählt, sondern Ernst-Gust Krämer. Der hat mich mit sanfter Gewalt aus dem Kohlenpott an die Weser befördert, ein Freundesdienst, für den ich ihm immer dankbar sein werde.
Überlegt habe ich mir, was denn von Helmut Urbschat bleiben wird, wenn ich im Friedwald Kalletal den Jüngsten Tag erwarte. Die lieben Menschen, die vor mir gesprochen haben, haben viel Freundliches gesagt, aber eines vergessen. Der römische Dichter Horaz hat das so gefasst: Exegi Monumentum Aere Perennius. Zu deutsch: ein Denkmal habe ich mir gesetzt, dauernder als Erz. Verwundert fragt ihr euch, wo das stehen könnte. Wieder gibt Horaz den Hinweis: Omnes Eodem Cogimur - uns alle drängt es an denselben Ort. Meinen alten Ratskollegen mag es nun schon dämmern, denn an diesem Ort hat der Urbschat jahrelang für das örtchen gestritten. Naturalia non sunt turpia - hat er immer wieder gepredigt - Natürliches ist nicht schändlich. Und da steht es seit Jahr und Tag am Parkplatz In der Grund, außen Waschbeton, innen Edelstahl: Vlothos einziges öffentliches WC.
Eine schöne Rede hatte ich nicht vorbereitet. Sprechen wollte ich voll Weisheit wie unsere hochverehrte Ehrenbürgerin Annemarie von Lengerke, versöhnlich wie Heinz Reinhardt, treu westfälisch wie Wilhelm Obernolte, humorvoll wie Fritz Finkhäuser, engagiert wie Ulrich Ammon, kämpferisch wie August-Wilhelm König, gelehrt wie Ferdinand Riemann, ironisch-überlegen wie Hans Schwarze, sachkundig wie Gerhard Wattenberg, mit einem Bibelspruch wie Helmut Urbschat. Unter zwei Stunden wäre so eine Bilanz kaum abgegangen. Denn Kurt Tucholskys Ratschlag für einen guten Redner habe ich mir gemerkt: wat jestrichen is, kann nich durchfallen.
Kurt Tucholsky war einer der großen deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. In den Jahren der ersten deutschen Republik hat er in der ÝWeltbühneÜ gegen den Hitler-Faschismus geschrieben. Im schwedischen Exil hat sich dieser jüdische Deutsche 1935 in Verzweiflung das Leben genommen. Er soll hier abschließend zu Worte kommen.
Zu meinen Freunden darf ich Peter Ausländer vom Jugendhof zählen. Dass er gleich ÝJaÜ gesagt hat, als ich ihn bat, für uns zu lesen, habe ich bestimmt meiner kanadischen Frau Bonnie zu verdanken. Ihr war er schon immer sehr zugetan und wird nicht müde zu bekräftigen: wir Ausländer müssen zusammenhalten.
Ihr habt Kurt Tucholsky, Peter Ausländer und mir geduldig zugehört. Ich danke euch.«

Artikel vom 09.09.2006