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Vor den Trümmern ihrer Existenz

Haus Henze war einsturzgefährdet

Von Wolfgang Braun
Höxter (WB). Zum bevorstehenden Jahrestag der unfassbaren Katastrophe vom 19. September, als der Rentner Günther Hartmann mitten in der historischen Altstadt ein Inferno entfesselte, greift das WESTFALEN-BLATT in einer Serie auf, wie mit den Folgen dieser entsetzlichen Tat umgegangen wurde. Das Thema heute: die Buchhandlung Henze.

»Wir waren auf Amrum. Es war unser letzter Urlaubstag. 9.25 Uhr, etwa zehn Minuten nach der Explosion, erreicht uns per Handy die Schreckensnachricht«, erinnert sich Almut Brenner, die zusammen mit ihrem Ehemann, Olaf Lindenburger, die Buchhandlung Henze betreibt. »Nun hat er es doch gemacht«, habe ihr ein Bekannter aus Höxter am Telefon gesagt. Offenbar war Hartmann auffällig genug gewesen, dass manche mit seiner Schreckenstat »irgendwie« gerechnet hatten. Sie habe offenbar in der Luft gelegen, meint die Buchhändlerin rückblickend. »Hartmann hat sich immer ganz schnell aufregen können und hat sofort angefangen zu schimpfen«, schildert sie den sonst »unscheinbar« wirkenden Eigenbrödler, der die Explosion von langer Hand vorbereitet hatte.
Als an diesem Montag nach der Bundestagswahl kurz nach Geschäftsöffnung jäh eine fürchterliche Detonation die Erde beben ließ, als Scheiben splitterten, Steine und Trümmer durch die Luft flogen, waren vier Mitarbeiterinnen in dem Geschäft. Zwei wurden so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus Holzminden gebracht werden mussten. Eine der Buchhändlerinnen hatte vom Bürofenster aus Hartmann mit der Benzinflasche hantieren gesehen. Eine andere war mit dem Rentner, der von herabfallenden Mauerbrocken erschlagen worden war, vom Bus gekommen, hatte sich von ihm aber, den sie aus ihrem Wohnort aus Albaxen kannte, verabschiedet, um schneller in die Buchhandlung zu kommen. »Als wir dann gegen 20.30 Uhr selbst vor dem Trümmerhaufen standen, waren wir fürchterlich geschockt. Olaf und ich haben uns verzweifelt an den Händen gehalten. Wir haben gedacht: Das war's ja wohl«, vergegenwärtigt sich Almuth Brenner diese schlimmen Momente.
Doch schon am 15. März konnte die Buchhandlung in einem größer und luftiger wirkenden Laden im Haus Henze wiedereröffnet werden.
Wie sehr die Mitarbeiterinnen durch das Geschehen noch seelisch verletzt waren, zeigte sich daran, dass sie vor dem Wiedereinzug in den Ort des Schreckens notfallseelsorgerischen Beistand bei Pfarrer Maletz gesucht hatten.
Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft hatte 2005 ein Ausweichladen in der Westerbachstraße bezogen werden können.
»Überwältigt« ist Almuth Brenner auch jetzt noch von der Welle der Hilfsbereitschaft. »So hatte uns Herr Larusch zum Harry-Potter-Tag am 1. Oktober angeboten, die neuen Bände unter dem Motto ÝPotter unter PöttenÜ in seinem Haushaltswarengeschäft zu veranstalten.« Ein weiteres Beispiel: Den Bestellservice habe die Buchhandlung Henze bald weiterführen können, weil sich Ute Sievers vom »Hotel Stadt Höxter« angeboten hatte, die Buch-Auslieferung vom Rezeptionsteam übernehmen zu lassen. Die Arbeit zu Hause erleichtert habe es, dass die PCs nicht so zerstört gewesen waren, dass die Festplatten nicht von einer Hannoveraner Fachfirma für Datenrettung hatten wiederhergestellt werden können.
Ihr ganz besonderer Dank geht auch dem Vermieter und früheren Eigentümer der Buchhandlung Henze, der mit seiner Galerie Untermieter war im Haus von Hartmann und durch die Explosion seine unersetzliche Sammlung an Weser-Grafiken verloren hatte. »Wilfried Henze hat darauf gedrungen, dass noch vor dem Wintereinbruch das Dach seines schwer in Mitleidenschaft gezogenen Hauses repariert wurde, so dass unverzüglich mit den Innenarbeiten begonnen werden konnte«, nennt Almuth Brenner eine wichtige Voraussetzung für die Sanierung.
Trotzdem: »Die Versicherungsleistungen haben den gesamten Schaden nicht abdecken können. 15 000 Euro hatten wir selbst aufbringen müssen«, machte Olaf Lindenburger klar, welche Lücken klafften.
In der dritten Folge der WESTFALEN-BLATT-Serie »Die Explosion Éein Jahr danach« kommt am Dienstag, 12. September, Claus-Werner Ahaus zu Wort, der zusammen mit Günther Hartmann aufgewachsen war.

Artikel vom 09.09.2006