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Es muss nicht gleich ein
Bundesliga-Verein sein

Jugendtraining: Talente fördern und nicht überfordern

Von Stephan Arend
Altkreis (WB). Mit Freunden spielen und Spaß haben - diese Vorstellungen haben die meisten Eltern, wenn sie ihren Nachwuchs in einem Fußballverein anmelden. Doch oft geht es schnell um mehr. Eltern beschäftigen dann ganz andere Fragen. Wird ein talentiertes Kind in seinem Verein noch ausreichend ausgebildet? Warum bekommt ein anderer Nachwuchskicker nur so wenig Spielanteile?

Der dritte Teil der WESTFALEN-BLATT-Serie »Jugendtraining heute: Tipps und Tricks«widmet sich der individuellen Förderung. Der Haller Christian Vobejda beschäftigt sich mit Fragen, die Eltern immer wieder stellen. Der Sportwissenschaftler zählt zum Trainerstab des DFB-Stützpunktes Steinhagen.

Mein Kind spielt schon mit drei Jahren begeistert im Garten Fußball und will wie sein großer Bruder im Verein Fußball kicken. Ab wie viel Jahren macht Vereinsfußball überhaupt Sinn?Christian Vobejda: Das Kind darf mit der komplexen Spielsituation nicht überfordert werden. Es stehen viele andere Kinder auf dem Feld, drumherum die Eltern. Wenn man feststellt, dass das Kind auch nach einigen Trainingseinheiten etwas verloren auf dem Rasen steht oder sich nicht wohl in seiner Haut fühlt, sollte man ein halbes Jahr später einen neuen Anlauf unternehmen. Manche Kinder sind schon mit dreieinhalb gut im Verein aufgehoben, andere mit fünf oder sechs Jahren.

In der Nachbarschaft kommen drei Vereine in Frage. Nach welchen Kriterien suche ich den richtigen Verein für mein Kind aus?Christian Vobejda: Für Kinder im Alter von sechs bis sieben Jahren oder noch jünger gibt es ein entscheidendes Kriterium. Für ihre Entwicklung brauchen sie einen Trainer, der ein kindgerechtes Training mit Liebe, Verständnis und Konsequenz anbietet.

30 Kinder in einer Trainingsgruppe waren zuviel. Daraus sind zwei Mini-Kicker-Mannschaften geworden. Aufteilungskriterium war allein die Spielstärke. Das Dilemma für meinen Sohn: Er ist von seinen Freunden getrennt worden. Christian Vobejda: Für die Durchführung einer Trainingseinheit ist es natürlich förderlich, wenn die Leistungsunterschiede nicht zu groß sind. Viel wichtiger ist es in diesem Alter aber, bestehende Freundesgruppen nicht auseinander zu reißen.
Aus dem Aspekt der Talentförderung ist es nicht empfehlenswert, ein »schwächeres« Kind der leistungsstarken Gruppe zuzuordnen. Dort wird es deutlich weniger Ballkontakte haben. Sehr positiv kann es dagegen sein, ein stärkeres Kind mit den Freunden in der schwächeren Gruppe spielen zu lassen. Es wird mehr Ballkontakte haben, dadurch seine technischen Fertigkeiten verbessern und dort lernen, Verantwortung zu übernehmen. Außerdem profitiert die ganze Mannschaft, weil die anderen Kinder abschauen und vom »Vorbild« lernen können.

Mein Junge ist der überragende Spieler seiner Mannschaft. Ich glaube, er wird es eines Tages weit bringen. Deshalb soll er seinen Dorfverein verlassen und zum großen benachbarten Bundesliga-Klub wechseln. Die würden ihn nehmen, weil er im Probetraining überzeugt hat. In welchem Alter macht ein Wechsel Sinn?Christian Vobejda: Ab zehn- und bis 14 Jahre. Bis zur E-Jugend spielt der taktische Aspekt noch keine große Bedeutung. Die Ballfertigkeit ist dagegen wichtig. Wie gesagt: Ein großes Talent hat in einer »schwächeren Mannschaft« mehr Ballkontakte. Allerdings müssen die Gegner irgendwann auch stärker werden. Ein Wechsel ist von vielen Dingen abhängig - nicht zuletzt vom Entwicklungsstand und der Persönlichkeit des Spielers. Die Frage ist auch, ob er in einem Leistungszentrum stressfrei spielen kann. Oder aber zeigt er aus Angst vor Fehlern und aus Angst zu scheitern nur das, was er ohnehin kann? Das wäre schlecht für den Lernprozess. Eltern sollten vor so einem Schritt zum Beispiel mit dem Stützpunkttrainer sprechen. Er kann das Kind gut einschätzen und wird ehrlich ohne mit Vereinsinteressen im Hinterkopf seine Meinung sagen. Außerdem muss es nicht immer direkt ein Bundesligaverein sein. Ein Wechsel zu einem gut geführten Verein in einer mittleren Spielklasse macht vielleicht mehr Sinn.

Warum spielt mein Kind nicht in der Kreisauswahl? Es hat vergangene Saison 55 der 60 Tore seiner Mannschaft geschossen. Wie wird ein Auswahltrainer auf ein Talent aufmerksam?Christian Vobejda: Auswahltrainer können nicht immer und überall alles sehen. Um ein Kind richtig einzuschätzen, muss man es eigentlich fünf oder sechs Mal beobachten. Dazu fehlt meist die Zeit. Auswahltrainer sind also auf die Hilfe und auf Hinweise der Vereinstrainer und Eltern angewiesen. Ein Spieler, der aufgrund seiner körperlichen Überlegenheit seinen Gegenspieler überläuft und einen starken Schuss hat, schießt vielleicht 55 Tore. Doch deshalb muss es sich noch lange nicht um ein überragendes Talent handeln.

Unser Nachbarsjunge trainiert im DFB-Stützpunkt Steinhagen. Was ist der Unterschied zur Kreisauswahl und wie kommt auch mein Sohn dahin?Christian Vobejda: Im Gegensatz zur früheren Kreisauswahl sieht das DFB-Förderkonzept ein wöchentliches Training vor. Bis jetzt beginnt das DFB-Stützpunkttraining ab der D-Jugend, ab Januar sollen auch schon E-Jugendliche des älteren Jahrgangs gefördert werden. Der Vereinstrainer sollte die Stützpunkttrainer auf Spieler aufmerksam machen, in denen Talent schlummert. Auf keinen Fall sollten Eltern ihre Kinder direkt vorbeischicken. Die Enttäuschung wäre dann zu groß, wenn es nicht klappt.

Mein Kind zählt (positiv ausgedrückt) in seiner Mannschaft nicht gerade zu den Leistungsträgern und bekommt weniger Spielanteile als die meisten seiner Mitspieler. Ich finde, im Alter von acht Jahren muss jedes Kind die gleichen Anteile bekommen. Wer hat Recht, der Trainer oder ich?Christian Vobejda: Keiner oder beide. Ein ausgeglichenes Spiel und auch Erfolge sind Voraussetzung dafür, dass Kinder Spaß am Fußball haben. Kinder wollen auch mal gewinnen. Ist das Leistungsgefälle einer Mannschaft groß und kann diese Mannschaft nur dann mithalten, wenn die stärkeren Spieler auf dem Platz stehen, hat es ein Trainer sehr schwer, den Königsweg zu finden. Er muss versuchen, den schwächeren Kindern so gut es geht Spielanteile zu verschaffen. In manchen Partien ist das aber sicherlich nur begrenzt möglich.

Der Trainer unserer E4 ist ein Vater ohne Trainerausbildung. Er ist zwar sehr engagiert. Doch ich finde, in diesem Alter darf man einen qualifizierte Trainer erwarten. Christian Vobejda: Natürlich ist es der Idealfall, wenn alle Trainer eines Vereins eine Lizenz haben und sich darüber hinaus weiterbilden und ihre Arbeit reflektieren. Doch das ist realitätsfremd. Das können die Vereine nicht mehr gewährleisten. Wenn der Trainer mit Engagement bei der Sache ist, ein kindgerechtes Training anbietet, einen guten Draht zu Kindern hat, die Spieler und auch sein eigenes Kind gerecht behandelt, sind die wichtigsten Voraussetzungen gegeben.

Artikel vom 06.09.2006