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Charmant wie Charles Lewinsky

Einer, der fürs große Publikum schreibt, um anspruchsvoll sein zu können

»Schade« war das meistgesprochene Wort bei Charles Lewinsky, dem Autorenporträt am Samstag. Nicht, weil die Veranstaltung nicht gelungen war. Keineswegs! Vielmehr, weil der Dauerregen eine größere Menge an Zuhörern abhielt, sich im Zelt auf dem Aqua-Magica-Gelände einzufinden.

Schade - da waren sich die 100 unerschrockenen Besucher wohl einig - weil den anderen so eine gelungene Lesung mit Charles Lewinsky entging, der nicht nur aus seinem Roman »Melnitz« vorlas, sondern auch charmant und pointenreich von den Tücken des Schriftstellerdaseins erzählte.
Neben diversen Romanen und Theaterstücken schreibt der 60-Jährige Drehbücher. Darunter für so bekannte Serien wie »Das Traumschiff«. Auch TV-Shows für Harald Juhnke und Liedtexte der Volksmusik gehören zu seinem Repertoire. »Ich glaube ich bin der einzige Schriftsteller, der gleichzeitig den Schillerpreis und den Grand Prix der Volksmusik gewonnen hat«, sagte der Schweizer.
Er macht keinen Hehl daraus, dass er mit dem Schreiben seinen Lebensunterhalt verdienen muss. »Ich schreibe, um Geld zu verdienen, damit ich auch anspruchsvollere Literatur schreiben kann.« In letztere Kategorie fällt auch sein neuestes Werk, der Familienroman »Melnitz«. Der 774 Seiten starke Schmöker erhielt nicht nur hervorragende Kritiken, sondern führte auch wochenlang die Schweizer Bestsellerlisten an.
Das für seine Verhältnisse ungewöhnlich lange Werk erzählt die Geschichte der jüdischen Familie Meijer in der Schweiz von 1871 bis 1945. »Ich war neugierig auf die Frage, ob es möglich ist, die spezielle jüdische Erfahrung einem allgemeinen Publikum näher zu bringen«, erzählt er. »Bei der Arbeit an diesem Roman habe ich dann festgestellt, dass es kein Problem ist, weil die jüdische Erfahrung eine menschliche Erfahrung ist.«
Dass er mit dieser Einschätzung Recht hat, war am Samstag zu spüren. Wie gebannt lauschte das Publikum dem Schriftsteller, der an diesem Abend zeigte, dass er nicht nur exzellent schreiben kann, sondern auch die Kunst des Vorlesens beherrscht. Mit seinem angenehmen Timbre und einem Hauch des rollenden »r«, der den Schweizer Akzent so sympathisch macht, beherrschte er die Kunst, die Stimmungen des Buches wiederzugeben, ohne gekünstelt oder allzu gewollt zu wirken.
Allzu gern ließen sich die Zuschauer in den Bann der melodischen Stimme und der bildhaften Sprache ziehen. Sie litten und lachten mit den Figuren, die Charles Lewinsky so lebendig gezeichnet hat, dass nicht nur Moderator Jürgen Keimer nachfragte, ob es reale Vorbilder für diese runden Charaktere gegeben hätte. »Diese Frage nehme ich als Kompliment«, sagte der 60-Jährige.
Dass Charles Lewinsky darüber hinaus auch noch das Talent besitzt, seine Zuhörer bestens zu unterhalten, bewies er im Gespräch mit Moderator Jürgen Keimer. Charmant, witzig und professionell eroberte er die Zuhörer mit Anekdoten aus dem Leben eines Schriftstellers und Erläuterungen zu seiner Herangehensweise an den Roman. Versiert erzählte er über die historischen Hintergründe seines Buches und ließ an der ein oder anderen Stelle auch den Schelm hervorblitzen. Etwa wenn er berichtete, dass selbst Züricher, die es besser wissen müssten, tatsächlich glaubten, dass es Gebäude aus dem Roman wirklich gegeben hat. »Die Aufgabe der Literatur ist es nicht, Historie eins zu eins abzubilden. Dafür gibt es Geschichtsbücher.« Und die Herzen der Zuhörer gewann er endgültig, als er bekannte: »Bücher, die wie Sekundärliteratur klingen, will doch keiner lesen.« Diese Gefahr besteht bei seinem Werk nicht.(WB)

Artikel vom 28.08.2006