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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrerin Claudia Günther


»Segen aus dem Supermarkt? Moskau machtÕs möglich! So las ich es kürzlich in einer Zeitungsnotiz. In manchen russischen Geschäften sind neuerdings gesegnete Milchprodukte erhältlich. Ein Teil des Verkaufserlöses geht in den Wiederaufbau von russischen Kirchen und Klöstern. Ob so ein gesegnetes Kefir wohl besonders gesund ist? Die ÝAuraÜ eines Lebensmittels soll sich angeblich verändern, wenn darüber ein Segen gesprochen wird. Das sagte mir mal ein Heilprakti-ker. Und tatsächlich: Dem Segen Gottes traue ich eine Menge Gutes zu. Aber Segen kaufen? Wie ÝBioÜ oder ÝLightÜ? ÝSegenÜ als Pro-duktmerkmal, als Qualitätssiegel? Wenn ich selbst vor dem Essen ein Segenswort spreche oder ein kurzes Tischgebet, dann kommt es mir auf etwas anderes an. Ich möchte innehalten und einen Moment lang daran denken, dass ich mein Leben nicht mir selbst verdanke. Dass ich lebe, essen und trinken kann, Familie und Freunde habe, ist nicht selbstverständlich. Jeder Atemzug, den ich tun darf, kommt von Gott. Er schenkt mir alles, wovon ich lebe - und ohne ihn könnte ich nicht sein. Daran denke ich, wenn ich über meinem Frühstücksbrot oder Spinat mit Spiegelei mein Gebet spreche. Der Segen über das Essen ist so zugleich Dank an Gott. Im Hebräischen, der Ur-Sprache des ersten Teils der Bibel, verwendet man für ÝsegnenÜ und Ýloben, preisenÜ dasselbe Wort. Auf Hebräisch segnet also nicht nur Gott den Menschen, sondern auch der Mensch segnet Gott. ÝSegne, meine Seele, den Herrn - und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat (Psalm 103,2).Ü ÝAlle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott, von dir. Wir danken dir dafür.Ü Wenn ich so bete, dann habe ich dabei nicht nur die Qualität meines Essens im Sinn. Dann spreche ich mit Gott. Ich danke ihm und gebe ihm Ehre. Und wenn ich das öfter mache, dann entwickelt sich vielleicht bei mir eine dankbarere und gelassenere Lebenshaltung. Ich lerne, Gott zu vertrauen - und das ist für mein Leben entscheidender als das Trinken von Milch mit dem Segens-Label.«

Artikel vom 26.08.2006