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Freund der Zocker und Armen

Poppinga im Ükern: einziges Leih- und Pfandhaus in Paderborn

Von Jens Twiehaus (Text und Foto)
Paderborn (WV). Es sind Geschichten wie die von Peter, dem Zocker. Geschichten, die den Charme eines Pfandhauses ausmachen - ein bisschen anrüchig, geheimnisvoll und einwenig verboten. In Paderborn betreibt die Familie Poppinga das einzige Leih- und Pfandhaus der Stadt.

Peter ist Stammkunde. »Wie fast alle, die zu uns kommen«, sagt Arnd Poppinga, ein ruhiger Mann mit Dreitagebart und ostfriesischem Akzent. Peter bringt immer mal wieder Gold vorbei, beleiht es und holt es ab, wenn er beim Spielen gewonnen hat. Alles ganz normal, aber am 14. Juni war es anders. Kurz vor Ladenschluss kam Peter, der Zocker, ins Pfandleihhaus im Ükern. Mit einer Tasche voller Gold. »Mehrere tausend Euro konnten wir ihm dafür geben«, erinnert sich Reina Poppinga, die Frau des »Chefs«. Peter wollte alles setzen: Auf den Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Polen. »Verrückt«, lacht Arnd Poppinga heute, »aber er war felsenfest überzeugt«.
Das Ergebnis ist bekannt. Neuville schoss Deutschland zum Sieg - in der Nachspielzeit. Und Peter räumte einen riesigen Gewinn ab. »Neulich kam er wieder, zahlte das Geld und Zinsen und nahm sein Gold mit nach Hause«, berichtet Reina Poppinga. Alles ganz normal - seit 19 Jahren ist das im Ükern fast schon Alltag.
»Die Pfandleihe ist das älteste Kreditgewerbe der Welt«, meint die 54-jährige Inhaberin. Schon in der Bibel sei davon die Rede und das Gewerbe habe sowieso alles »anrüchige« verloren. »Vom Anwalt bis zum Handwerker reicht unser Kundenstamm«, erzählt sie. Die ganz Armen kommen nicht, denn die hätten schließlich nichts, was man beleihen könnte.
Das Prinzip der Pfandleihe ist ganz einfach: Wer Geld braucht, bringt Schmuck oder hochwertige Elektroartikel, erhält dafür eine gewisse Summe Pfand. Diese Summe muss er inklusive ein Prozent Zinsen nach spätestens vier Monaten zurückzahlen. Verlängerungen sind möglich. Wenn der Kunde gar nichts mehr zurückzahlen kann, wird sein Eigentum versteigert.
Um die 150 Kunden täglich sind der Normalfall. »Und jeder hat seine ganz persönliche Geschichte«, sagt Reina Poppinga. Da gibt es die Britin, die kein Geld mehr hat, weil ihr Mann als Soldat in Kuwait kämpft, die besorgte Mutter, die Geld für ihren verschuldeten Sohn besorgt, oder die mittellose alte Dame, die nach einem Unfall vergeblich auf das Geld von der Versicherung wartet.
»Wir kennen viele Geschichten, denn wir gehen locker mit den Leuten um«, sagt die gebürtige Ostfriesin, die vor mehr als 30 Jahren mit ihrem Mann nach Paderborn kam. Viele Neukunden hätten Skrupel, »aber es ist doch nichts Schlimmes, wenn man mal Geld braucht«.
Schließlich ginge im Pfandleihhaus alles viel unbürokratischer zu, als bei einer Bank. Und mindestens genauso diskret: Alle Artikel kommen in die »Schatzkammer« hinter dem Laden. Artikel, die Geschichten erzählen können - von Unglücken, Schicksalen oder geplatzten Träumen.
Etwa sechs bis sieben Prozent der Kunden sehen ihre Ware nie wieder. Wenn nicht gezahlt wird, kommt die Ware unter den Hammer. Zweimal jährlich heißt es dann »frisches Geld pumpen«. Manchmal sitzen dann die Vorbesitzer bei der Versteigerung, mit leeren Taschen.
Peter, der Zocker, braucht die Versteigerung nicht zu fürchten. Er hat durch die Anleihe das Spiel seines Lebens gemacht. Bis zur nächsten Wette.

Artikel vom 26.08.2006