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Astoria nicht mehr lieferbar

Philipp Nordmann fertigte erstmals Schlafzimmermöbel in Serie

Von Stephan Rechlin
Gütersloh (WB). Das Schlafzimmer-Modell Astoria ist in der Ausführung bergahornartig, mit Eichendekor abgesetzt und poliert. Auf Wunsch kann ein Bettüberbau mit einer oder zwei Leuchtstofflampen hinzumontiert werden. Der Haken an dem Modell: es ist nicht mehr lieferbar. Die Gütersloher Möbelfabrik Nordmann schloss 1977.

Mit dem Namen »Nordmann« sind gleich zwei Möbelwerke gemeint. Eines produzierte Schlafzimmer, das andere Küchen. Zu ihren besten Zeiten während des Nachkriegsaufschwunges beschäftigten die Gebrüder Nordmann & Co. mehr als 300 Mitarbeiter an zwei Standorten in Gütersloh. Die Möbel wurden in der Bundesrepublik, in Belgien und Holland verkauft.
Keimzelle der Werke war eine im Jahre 1900 von Philip Nordmann (1873 - 1950) gegründete Tischlerei an der Friedhofstraße. Nordmann war der erste Tischlermeister in Gütersloh, der Möbel in Serie fertigte - 1907 verließ die erste Serie von sechs Schlafzimmern die neue Fabrik an der späteren Neuenkirchener Straße. Die Erlöse verschwanden nicht in Privatschatullen, sondern wurden in neue Maschinen investiert. 1909 wurde eine Holzbearbeitungsmaschine mit 6-PS-Benzinmotorantrieb aufgestellt, 1912 folgte eine 14-PS-Leuchtgasmotoranlage, 1914 ein 17-PS-Sauggasmotorgerät. Den Vertrieb überließ Nordmann zunächst dem jüdischen Händler Josef Meinberg, von dem er wiederum das Leinen- und Baumwollgewebe zur Fertigung von Polstern und Matratzen bezog.
Die Innovationsfähigkeit der jungen Möbelfabrik half auch über Krisen wie der Absatzflaute im ersten Weltkrieg und während der Inflation hinweg. Bereits im letzten Kriegsjahr 1918 begann Nordmann mit der Verarbeitung des in Russland entwickelten Sperrholzes. Das Geschäft brummte - mitten in der Weltwirtschaftskrise beschloss Nordmann die Investition in ein Küchenwerk an der Schalückstraße. 1936 übersteht die Firma den Generationenwechsel. Die älteren Söhne Hermann und Heinrich übernahmen das Stammwerk an der Neuenkirchener Straße, die jüngeren Söhne Paul und Arnold steigen ins Zweigwerk ein. Der Vater erlebte noch mit, wie alliierte Bomber das Zweigwerk am 14. März 1945 in Schutt und Asche legten. Mit Hilfe des Stammwerkes wurde der Küchenbetrieb wieder aufgebaut und rechtzeitig zum Beginn des Nachkriegsbooms fertig.
Dieser Boom dauerte bis in die siebziger Jahre hinein. Nicht zuletzt mangelnde Expansionsmöglichkeiten an beiden Standorten führten 1977 zur Produktionseinstellung. Zwei Jahre später wurden die Betriebe abgerissen und durch Wohnhäuser ersetzt.

Artikel vom 23.08.2006