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Kurde erschoss
Verwandten

Mordprozess begann in Bielefeld

Von Uwe Koch
Minden/Bielefeld (WB). Im September 2004 erschoss der kurdische Asylbewerber Sükrü Y. im Zuge eines Familienstreits in Minden einen entfernten Verwandten, 15 Monate war er auf der Flucht.

Im Dezember 2005 stellte er sich der Polizei. Gestern präsentierte der 50-Jährige dem Bielefelder Schwurgericht eine überraschende Geschichte: Die Schüsse, sagte der Angeklagte, seien aus Notwehr gefallen. Der Prozess vor der 10. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld begann gestern Morgen mit einem lautstarken Eklat: Die Ehefrau des Opfers beschimpfte den Todesschützen (noch in Abwesenheit der Richter) minutenlang mit übelsten Flüchen. Kammervorsitzende Jutta Albert ließ die Verwünschungen der Witwe protokollieren: »Brennen sollst Du, Du ehrenloses Schwein!«
In der Mindener Fußgängerzone hatte der im Libanon aufgewachsene Kurde am 6. September 2004 den Kurden Ali K. (52) nach wilder Verfolgungsjagd mit drei Kugeln aus einer Pistole Kaliber 7,63 erschossen. Zwei Männer erlitten obendrein Durchschüsse von Oberarm und Fuß, ein Projektil durchschlug einen Pkw; sieben weitere Kugeln prallten auf den Asphalt.
Ursache der Fehde soll die intime Beziehung einer Verwandten des Täters zu dem Opfer gewesen sein, der ausgerechnet gegenüber dem Ehemann mit dem sexuellen Verhältnis unsittlich geprotzt haben soll. Sükrü Y. tauchte in der Türkei unter, wo ihm bald der Boden zu heiß wurde: Nicht nur die Fahndung der deutschen Polizei lief auf Hochtouren, auch die auf Rache sinnenden Verwandten zogen das Netz um den in Kurdistan versteckten Pistolenschützen immer enger.
Unter lautstarken und drohenden Protesten der Sippe des Opfers (»Schwein«, »Missgeburt«) bekannte der Angeklagte gestern, die Tat sei aus einer Notwehrsituation entsprungen. Er sei von Ali K. mit einem Messer »massiv bedroht« worden. An einer Tötung, die übrigens mehrfach zuvor »möglich gewesen« sei, habe er »kein Interesse gehabt«. Gestellt habe er sich, erklärte der Kurde, »um den Frieden zwischen den zerstrittenen Familien wieder herzustellen«.
Staatsanwalt Klaus Metzler hat den Mann indes des Mordes aus niedrigen Beweggründen sowie des versuchten Verdeckungsmordes angeklagt. Er will eine lebenslange Freiheitsstrafe erwirken.
Eine Gerichtsmedizinerin der Universität Münster erklärte gestern im Prozess, dass die Schüsse aus nächster Nähe abgegeben wurden. Das Opfer sei am Tatort verblutet.
Dem Vernehmen nach sollen die Sippen-Chefs der weit verzweigten Familie schon Verhandlungen über das Ende des Streits geführt haben. Demnach soll auch bereits eine große Geldsumme als Ausgleichszahlung geflossen sein. Der Prozess wird fortgesetzt.

Artikel vom 23.08.2006